Friedhelm Stapelmann: "Es geht um den Menschen"



13-12-2002


Herr Dr. Grün, mir ist es sehr ernst damit, und glauben Sie nicht, wir Einwender hielten nur Reden, um die Erörterung zu strecken, wie ich es leider als Ihre Meinung in der WAZ vom 06.12.2002 lesen musste. – Ich enthalte mich, über Ihre Beiträge zu urteilen!
Mit dem folgenden Beitrag lege ich mein Menschenleben in Teilen offen, sehr stark auch geprägt vom Bergbau. Ob meine Ausführungen entscheidungsrelevant sind, müssen andere beurteilen, nicht die DSK. Ich hoffe darauf, dass unsere Verhandlungsleiter nicht nur das „Bergrecht“ kennen und beachten. Gesunder Menschenverstand, Grundgesetz, Abkommen der Rheinanliegerstaaten...... sind sicher von größerer Bedeutung als das, worauf die DSK fußt.
Hören Sie mich an und werden Sie wenigstens nachdenklich!!
Ich bin vom Jahrgang 31, also 71 Jahre alt, in Mülheim an der Ruhr aufgewachsen, einer Stadt, in der es bis in die 60er Jahre noch mehrere Zechen gab. – Viele meiner Vorfahren haben als Bergleute gearbeitet, ein Vetter noch bis vor einigen Jahren als Steiger auf der Zeche in Hoerstgen. –
Herr Betriebsratsvorsitzender Friedhelm Vogt, auf was Sie alles stolz sind, das dürfen Sie von mir aus auch sein, aber Sie formulieren es als Angriff auf die anderen Menschen (WAZ 05.12.2002). – Mein Vater hat 41 Jahre als Bergmann untertage gearbeitet, unter ganz anderen Bedingungen als sie heute herrschen. – Ich bin sehr stolz auf ihn; die Gründe werde ich hier nicht breittreten.
Meine Kindheit war stark durch den Krieg geprägt. – Sagen Sie nicht, “das gehört nicht hierher“. Sie werden noch hören, wie ich den Bogen spanne. Mit der Mutter saß ich nachts im Keller oder Bunker, Vater war von uns getrennt in der Zeche, er hatte immer Nachtschicht. – Wir hatten Angst, aber am schlimmsten war die Ohnmacht. Mit menschenverachtender Arroganz sprach Goebbels von coventrieren (Ältere und Geschichtsbewusste hier im Raum wissen, wovon ich spreche ). Der Historiker Friedrichs hat gerade ein Buch veröffentlicht über die Angriffe auf deutsche Städte. Als 13jähriger sah ich noch wenige Wochen vor der Zerstörung Dresdens diese wunderschöne Stadt mit Menschen, die fast wie im Frieden lebten. – Durfte das im Februar 45 noch geschehen, als der Krieg längst entschieden war? Es geht nicht um Schuldzuweisungen, dazu haben wir sicherlich kein –Recht, sondern um den Zeitpunkt – ich komme darauf zurück – und wie es geschah.
Der Sohn eines Bomberpiloten von Harries – sein Vater Angreifer und Angegriffener zugleich -, ein Flieger, der auch berechtigte Angst hatte – 2300 junge Männer liegen allein hier auf dem englischen Soldatenfriedhof - , dieser Nachfahre erkannte den Wahnsinn und das Unrecht, das Menschen angetan wurde; er hat das Kreuz für die im Wiederaufbau befindliche Frauenkirche in Dresden gestiftet.
Im März 45 (mit 13,5 Jahren) bin ich an der Panzerfaust ausgebildet worden und habe sie auch abgeschossen. Vielleicht hat das damals etwas von meinem Ohnmachtsgefühl weggenommen, ich glaubte, mich wehren zu können, - die berechtigte Angst blieb.
Nach dem Krieg, ich war noch in der Ausbildung, starb mein Vater nach 41 Bergarbeiterjahren an 100% Steinstaublunge. – Vom Staat oder Bergbau gab es für mich keine Unterstützung zum Studium.
Warum kommen mir alle diese Gedanken jetzt wieder?
Ich haben in den letzten 1,5 Jahren aktiv in der SGB—Rheinberg mitgearbeitet und so tiefe Einblicke gewonnen, sodass ich wieder Angst habe, Ohnmacht verspüre. – Meine Arbeit habe ich immer getan, Haus und Familie wohl bestellt: ich konnte immer gut und fest schlafen. Jetzt komme ich abends erst nach Stunden in den Schlaf, werde ich in der Nacht wach, dann ist es mit dem Schlaf vorbei; so war es in diesem Jahr sogar im Urlaub. Die Gedanken kreisen dann nur um ein Thema. Ich bin Naturfreund und ein Bergsteiger und Kletterer, jetzt möchte ich meinen Lebensabend mit meiner Frau in Ruhe am Niederrhein auf unsrer Terrasse und in unserem Haus verbringen. Stattdessen habe ich wieder Angst. Was werden wir erleben: Erdbeben, Handwerker, Schlaflosigkeit oder noch mehr (siehe Herr Raue; siehe Herr Kall, in Rheinberg aufgewachsen mit dem Elternhaus dort)?! Auch kann ich nicht einsehen, warum man uns das antut, antun darf. Muss das Leben für uns alte Menschen enden, wie es begann?
Ich bin 1962 dienstlich nach Rheinberg versetzt worden, habe Land und Leute hier lieben gelernt. Unser Baugrundstück in Mülheim haben wir aufgegeben. Wenn ich gewusst hätte, wie man sich auf das Wort des Bergbaus verlassen kann, hätte ich jedes halbe Jahr meine Versetzung nach Mülheim beantragt. Unsere Bergschäden am Haus der Schwiegereltern hatten wir hinter uns. – Die Stadt Rheinberg bot uns ein Grundstück im Neubaugelände am Annaberg an, und Fried. Krupp Bergwerke AG schrieb mir am 13.10.1967 zum Bauvorhaben. – Hören Sie gut zu! Ich zitiere: „Wir danken Ihnen für die Übersendung der Baupläne und teilen Ihnen nach Überprüfung mit, dass Sicherungsmaßnahmen gegen bergbauliche Einwirkungen aus unserem Grubenfeld nicht erforderlich sind“.
Was heißt so etwas eigentlich bei Ihnen? Wie nennt man solchen Wortbruch? – So wie unsere Reihenhäuser gebaut sind , werden sie unter bergbaulichen Einwirkungen zu Kartenhäusern.
Dann schämen Sie sich auch nicht, Ihre Schilder mit dem !!!Versprochen!! am Annaberg aufzustellen (Schonender Abbau; schnelle Schadensregulierung)? Was haben Sie denn den Kapellenern damals versprochen, oder wehte Ihnen damals der Wind noch nicht so ins Gesicht? Ich habe die Bilder von ruinierten Gebäuden und öffentlichen Einrichtungen in Kapellen und dem Saarland in unserem Stadthaus gesehen. „Versprochen“ ist für mich zum Unwort des Jahres geworden. Als ich dieses Wort „Versprochen“ in Kamp-Lintfort an der Kasse eines Geschäftes hörte, schrak ich zusammen. Als ich es der Kassiererin, die es ausgesprochen hatte, erläuterte, verstand sie mich sehr wohl; sie wohnt am Orsoyer Berg (für Auswärtige: dort schwere Bergschäden durch Bergwerk Walsum).
DSK, was versprechen Sie Ihren Azubis, auch Menschen, die Sie auf einen beruflichen Irrweg schicken. Am 05.12.2002 schrieb Uwe Knüpfer in seinem WAZ-Kommentar unter der Überschrift „Kohle und Wahrheit“ (Zitat): „Von Politikern erwarten wir, dass sie die Wirklichkeit erkennen und die Zukunft gestalten. Dazu gehört, den Menschen klar zu sagen, wie es um die Zukunft des Bergbaus bestellt ist. Ein Anrecht darauf haben nicht zuletzt die Kumpel, die Angestellten und die Auszubildenden der letzten Zechen an der Ruhr“.
Heut ist die Zukunft des Bergbaus Diskussionsthema im Landtag von NRW.
Wer glaubt den Versprechungen von Herrn Clement? Wer nimmt denn einen auf 2019 befristeten RBP des Bergwerks-West ernst?
Sie bekommen den Rahmenbetriebsplan vielleicht genehmigt, wenn ich mir das Ergebnis von Walsum in Verbindung mit dem Anhörungsprotokoll ansehe. Ich fühle mich dann wirklich hilflos ausgeliefert. – Aber Schluss ist doch in wenigen Jahren, und wir wären dann, wie Herr Dr. Lang es formulierte, die letzten Mohikaner. Es geht nicht mehr weiter: Die FDP fordert die sofortige Einstellung der Subventionen. Diese Woche beantragt die CDU in Düsseldorf die Halbierung der Subventionen bis 2010 und die Reduzierung der Zahl der Bergarbeiter auf 18.000.
„Wir brauchen die Fettkohle unter dem Anaberg“! Wer ist wir? Sie, die leitenden Herren der DSK vielleicht, um weiter Ihre Positionen zu behalten unter Verschleuderung von Steuermitteln, die uns an vielen Stellen dringend für zukunftsorientierte Aufgaben fehlen.
Am Abend vor dem ersten Verhandlungstag hier (am 13.11.) sagte in einer politischen Gesprächsrunde im WDR-Fernsehen Frau Höhn im Beisein und ohne Widerspruch des jetzigen Ministerpräsidenten Steinbrück: Wir brauchen keinen Bergbau mehr in Deutschland, wir müssen ihn nur sozialverträglich abbauen. – Beides kann ich nur massiv unterstreichen und sicher jeder Bürger am Annaberg gönnt den Bergleuten eine gesicherte Zukunft. Mit vollem Lohnausgleich in den Ruhestand ist billiger und für die Zukunft unserer Region und insbesondere der Menschen dort sinnvoller. Die DSK sollte Rücksicht auf die Menschen nehmen, die das alles mit ihren Steuermitteln bezahlen!
Kein Abbau unter dichtbesiedelten Gebieten, kein Abbau unter dem Niederrhein!
Dann kämen auch die Nachfahren der jetzigen Bergleute nicht in die Lage, wie der Sohn des Bomberpiloten von Dresden, vielleicht dem liebenswerten Niederrhein und den dort einst fröhlichen und friedlich lebenden Menschen später am Rande einer Seenlandschaft ein Denkmal setzen zu sollen.
Ich hätte als Bergmann – bei allen persönlichen Sorgen – große Hemmungen, unter dem Annaberg Raubbau zu betreiben und den Menschen das anzutun, was mein Wirken zur Folge hat. Ist Ihnen bewusst, was Sie untertage mit dem Abbau und der Zerstörung anderer Flöze und übertage mit Ihren Ewigkeitsschäden (gegensteuernde Maßnahmen: Pumpen bis in alle Ewigkeit) allen Nachfolgegenerationen (Menschen) antun?!
Mit dem Abbau von Flöz Albert will sich das Bergwerk West über die nächsten Jahre retten, und dann ist Schluss mit dem Bergbau, auch für die, die es jetzt nicht zugeben wollen. – Nach uns die Sintflut!
Wir Menschen hier können doch in Ihren Überlegungen wohl kaum eine Rolle spielen!
Ich schließe mich der Stellungnahme des Kreises Wesel zum Bergwerk West an:
Es geht um die Lebensqualität der Menschen, die Gesundheit der Bürger soll Priorität haben!
Wir haben ohnmächtige Angst, die die DSK hier in der Anhörung mit den vorgelegten schönenden Gutachten und Ausführungen (nach Frau Kerstan wird alles nur besser bei gegensteuernden Maßnahmen) höchstens verstärkt hat.
Wir hoffen auf Sie, Herr Milk und Herr Sikorski, fühlen Sie sich den Menschen verpflichtet!
Die Menschen in dieser Region wollen ihr Leben – ich meinen Lebensabend – in einer unzerstörten Landschaft in Frieden, Gesundheit und Ruhe begehen!
Und wenn ich nichts erreichen sollte, so habe ich mich bei und mit diesen Ausführungen nicht ganz so ohnmächtig gefühlt.
Ich danke Ihnen!

Antrag Stapelmann:
Der Rahmenbetriebsplan West ist aus vielen der bisher genannten Gründe abzulehnen. Er ist auch nicht ausführbar, da unser haus, das ja keinen bergbaulichen Einwirkungen ausgesetzt wird, wohl kaum beim Abbau auszusparen ist.
PS: am liebsten würde ich noch einen Antrag hinterherschicken, aber das gehört nicht zu diesem Tagesordnungspunkt:
“Schützen Sie die deutsche Kohle, lassen Sie sie in der Erde und Sie werden nachhaltigen Dank ernten!“