79. Sitzung

   Berlin, Mittwoch, den 27. November 2003

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Das am 22. August 2003 in Kraft getretene Gesetz zur Neustrukturierung der Förderbanken des Bundes sieht vor, den Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau um sieben Mitglieder zu erweitern, die vom Deutschen Bundestag bestellt werden. Hierfür werden vorgeschlagen von der Fraktion der SPD die Kollegin Waltraut Lehn sowie die Kollegen Ludwig Stiegler und Klaus Brandner, von der Fraktion der CDU/CSU die Kollegen Dietrich Austermann, Bartholomäus Kalb und Friedrich Merz, von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen die Kollegin Christine Scheel. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit sind die genannten Kollegen als Mitglieder des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau bestellt.

   Durch Änderung des § 39 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes vom 14. August 2003 können nun acht statt bisher sieben Mitglieder des Deutschen Bundestages in den Beirat des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR entsandt werden. Die FDP-Fraktion kann somit ein Mitglied für den Beirat nachbenennen. Sie schlägt die Kollegin Gisela Piltz vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist die Kollegin Gisela Piltz gemäß § 39 Abs. 1 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes in den Beirat gewählt.

   Die Fraktion der CDU/CSU teilt mit, dass der Kollege Martin Hohmann sowohl aus dem Gemeinsamen Ausschuss gemäß Art. 53 a des Grundgesetzes als auch aus dem Kontrollausschuss beim Bundesausgleichsamt als stellvertretendes Mitglied ausscheidet. Für beide Gremien schlägt die Fraktion der CDU/CSU den Kollegen Dr. Jürgen Gehb als neues stellvertretendes Mitglied vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist der Kollege Gehb jeweils als stellvertretendes Mitglied im Gemeinsamen Ausschuss bestimmt und in den Kontrollausschuss beim Bundesausgleichsamt gewählt.

   Wir setzen die Haushaltsberatungen - Punkt I - fort.

a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2004

(Haushaltsgesetz 2004)

- Drucksache 15/1500, 15/1670 -

(Erste Beratung 61. Sitzung)

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Finanzplan des Bundes 2003 bis 2007

- Drucksachen 15/1501, 15/1670, 15/1924 -

Berichterstattung:

Abgeordnete Dietrich Austermann
Walter Schöler
Antje Hermenau
Dr. Günter Rexrodt

   Ich rufe dazu Punkt I.12 auf:

a) Einzelplan 09

Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit

- Drucksachen 15/1909, 15/1921 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Volker Kröning
Hans-Joachim Fuchtel
Kurt J. Rossmanith
Anja Hajduk
Dr. Günter Rexrodt

   Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor, über den wir später namentlich abstimmen werden.

   Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte I.12 b und c auf:

b) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften

- Drucksache 15/1206 -

(Erste Beratung 54. Sitzung)

- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften

- Drucksache 15/1481 -

(Erste Beratung 58. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss)

- Drucksache 15/2083 -

Berichterstattung:
Abgeordneter Ernst Hinsken

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss)

- zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst Hinsken, Dagmar Wöhrl, Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Handwerk mit Zukunft

- zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Meisterbrief erhalten und Handwerksordnung zukunftsfest machen

- Drucksachen 15/1107, 15/1108, 15/2083 -

Berichterstattung:
Abgeordneter Ernst Hinsken

   Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Der gleich lautende Gesetzentwurf der Bundesregierung soll abgesetzt werden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlossen.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, wir sind nicht einverstanden!)

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Friedrich Merz (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Befürchtungen, die wir am Anfang dieser Woche im Hinblick auf die Entscheidung des Ecofin-Rates vom vergangenen Dienstag hatten, sind mehr als nur bestätigt worden; sie werden übertroffen. Die Europäische Union steckt erkennbar in einer sich verschärfenden Krise. Anders kann man es nicht ausdrücken.

Ich will an die Debatte anknüpfen, die wir dazu gestern und vorgestern an dieser Stelle gehabt haben. Was die Regierung der Bundesregierung Deutschland in Brüssel zu verantworten hat, wird uns noch über einen sehr langen Zeitraum beschäftigen. Es haben Krisensitzungen des EZB-Rates und der EU-Kommission stattgefunden. Es herrscht eine schwere Verstimmung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Mittlerweile hat Frankreich das Begehren geäußert, den gesamten Stabilitätspakt im übernächsten Jahr zu verändern.

   Unsere Voraussagen und meine persönliche Einschätzung werden sich bewahrheiten. Es wird einen zunehmenden Druck auf die Währungsstabilität geben. Angesichts dessen, was auch von Vertretern der Regierung in den letzten 48 Stunden zu diesem Thema gesagt worden ist, kann einem nur angst und bange werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wir werden mit dem Hinweis konfrontiert, es sei doch alles in Ordnung. Ein Wechselkurs des Euro zum Dollar von 1,18 Euro sei sozusagen der Beleg dafür, wie stark der Euro sei und wie wenig er gefährdet sei. Wer die Währungsgeschichte der D-Mark einigermaßen kennt, der weiß, dass diese Argumente falsch sind.

   Es gab bei uns in den 80er-Jahren zum Teil stark steigende Wechselkurse bei rapide sinkenden Inflationsraten. Im Jahre 1981 lag der Dollarkurs bei 1,80 DM und die Inflationsrate bei 6 Prozent. Drei Jahre später betrug der Dollarkurs 3,20 DM und die Inflation in Deutschland ging gegen null. Drei Jahre nachdem die Sozialdemokraten in Deutschland erstmalig die Regierung übernommen hatten, lag der Dollarkurs ebenfalls bei 3,20 DM, aber die Inflationsrate betrug über 6 Prozent.

   Ich sage Ihnen das, um Sie von vornherein vor Fehleinschätzungen in den nächsten Tagen und Wochen zu bewahren. Der Außenwert einer Währung hat nicht immer unmittelbar etwas mit seiner Binnenstabilität zu tun. Das glatte Gegenteil kann der Fall sein. Im Augenblick profitieren wir in Europa mehr von der Schwäche des Dollar als von der Stärke der eigenen Währung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Die Debatte am heutigen Tag bietet auch Gelegenheit, nach einem Jahr Amtszeit von Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement Bilanz zu ziehen. Herr Clement, Sie sind vor gut einem Jahr mit sehr viel Elan, auch mit sehr vielen Vorschusslorbeeren, mit sehr viel Vertrauen und hohen Erwartungen gegenüber Ihnen - auch von den Koalitionsfraktionen - hier in Berlin angetreten. Wie sieht die nun die Bilanz ein Jahr später aus? Es folgt keine Schwarzmalerei und kein Gerede der Opposition. Nein, es sind nüchterne Zahlen über die Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland, ein Jahr nach dem Amtsantritt eines neuen Ministers, der richtigerweise nicht nur die Zuständigkeit für die Wirtschaftspolitik, sondern auch für die Arbeitsmarktpolitik hat.

(Franz Müntefering (SPD): Keine Schwarzmalerei! Das muss ich mir merken!)

- Herr Müntefering, die Zahl der Arbeitslosen ist innerhalb dieses einen Jahres im Durchschnitt um über 200 000 gestiegen. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen in Deutschland ist ebenfalls um deutlich über 200 000 gestiegen. Die Zahl der Beschäftigten in unserem Land ist in gut einem Jahr um mehr als 600 000 zurückgegangen.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Hört! Hört!)

   Ich will die Lage nicht dramatisieren; aber die Arbeitsmarktstatistik bringt die Lage weniger gut zum Ausdruck als die Beschäftigtenzahl. Die Tatsache, dass Deutschland mit 82 Millionen Einwohnern jetzt nur noch etwas über 26 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigte hat, ist das eigentliche Symptom für die Krise unserer Volkswirtschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Darüber können Sie nicht einfach leichtfertig hinweggehen.

   Wir sind vor gut einem Jahr von Ihnen, Herr Clement, mit großen Ankündigungen konfrontiert worden. Sie haben die Koalitionsfraktionen mit Ankündigungen darüber begeistert, wie die Bundesanstalt für Arbeit jetzt endlich auf den richtigen Weg gebracht werden soll, um die Vermittlungstätigkeit so zu verbessern, dass sie einen nachhaltigen Beitrag zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit leistet. Auch dazu eine kurze Jahresbilanz. Im Oktober 2003 sind insgesamt knapp 750 000 Menschen aus der Arbeitslosigkeit ausgeschieden. Von diesen 750 000 hat die Bundesanstalt für Arbeit aber nur 67 000 erfolgreich vermittelt. Das sind nicht einmal 9 Prozent.

   Im gleichen Zeitraum, innerhalb von Jahresfrist, hat sich aber die Zahl derer, die in den Vorruhestand eingetreten sind, also ein Instrument des Sozialgesetzbuches III in Anspruch genommen haben, fast verdreifacht. Über 200 000 haben auch auf Drängen der Bundesanstalt für Arbeit von diesem Instrument Gebrauch gemacht, obwohl der Präsident der Bundesanstalt bei seinem Amtsantritt genau das Gegenteil gefordert hat, nämlich dieses Instrument solle nicht weiter in Anspruch genommen werden, weil es ein falsches Instrument sei.

Herr Clement, man sieht alleine an diesen Zahlen: Sie sind nicht an einer einzigen Stelle in der Lage gewesen, die Strukturprobleme unseres Arbeitsmarktes zu lösen. Sie haben sich weiter verfestigt, weil Sie zu Beginn Ihrer Amtszeit von einer fundamentalen Fehleinschätzung der Lage ausgegangen sind und sich mit Ihren wenigen guten Ansätzen in Ihrer eigenen Fraktion nicht haben durchsetzen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ich will das an einigen Beispielen deutlich machen. Sie haben uns im Frühjahr 2003 mit der Ankündigung aufgerüttelt, künftig werde Ihr Haus jeden Monat eine neue Reform auf den Weg bringen.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Alles Schall und Rauch! - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es waren schon zwei pro Monat!)

Lassen wir an vier Beispielen Revue passieren, was daraus geworden ist.

   Erstens. Sie haben angekündigt, es sei jetzt an der Zeit, das Kündigungsschutzrecht zu lockern. Ich sage dazu vorweg: Ich weiß, dass viele Bürgerinnen und Bürger in diesem Land - darunter auch viele, die in Arbeit und Brot sind - Angst davor haben, dass ihnen ein Teil des Schutzes genommen wird. Von dieser Angst müssen sie befreit werden, indem man darauf hinweist, dass in den Ländern, in denen der Kündigungsschutz nicht so weit geht wie in Deutschland, ein höheres Maß an Beschäftigung besteht und die Rückkehr in den Arbeitsmarkt einfacher ist als in der Bundesrepublik Deutschland. Das haben Sie richtig gesehen, Herr Clement.

   Aber nachdem Sie angekündigt hatten, dass der Kündigungsschutz in Kleinbetrieben mit bis zu 20 Beschäftigten gelockert werden soll, und daraufhin von Ihren eigenen Leuten zurückgepfiffen worden sind, haben Sie darauf hingewirkt, dass wenigstens Kleinbetriebe mit bis zu fünf Beschäftigten künftig unbegrenzt befristet Beschäftigte zusätzlich einstellen können, ohne dass der Kündigungsschutz greift. Dabei haben Sie jedoch übersehen, dass aufgrund einer EU-Richtlinie die Zahl der befristet Beschäftigten nicht größer sein darf als die Zahl der unbefristet Beschäftigten. Deshalb mussten Sie die Zahl der befristet Beschäftigten auf fünf reduzieren.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Toll!)

   In Zukunft dürfen also fünf befristet Beschäftigte zusätzlich eingestellt werden, die dem Kündigungsschutz nicht unterliegen. Das ist aus Wolfgang Clements großer Reform des Kündigungsschutzgesetzes geworden!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Peinlich!)

Bitte tun Sie sich selbst und uns den Gefallen, dieses Thema heute Morgen am besten gar nicht mehr zu erwähnen, wenn Sie sich nicht selber der Lächerlichkeit preisgeben wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Ein zweites Beispiel: Sie haben auch angekündigt, dass künftig jede Arbeit zumutbar sein solle, damit die Menschen einen Weg zurück in den Arbeitsmarkt finden. Dies hat immer unsere Zustimmung gefunden. Wir waren auch in früheren Jahren der Auffassung, dass eine geringfügige Beschäftigung immer noch besser ist, als weiter in der Arbeitslosigkeit zu verbleiben.

   Was ist daraus geworden? Nach Herrn Clement müssen jetzt Arbeitslosengeldempfänger, also diejenigen, die eine Versicherungsleistung bekommen, für die sie vorher Beiträge eingezahlt haben, in Zukunft jede zumutbare Beschäftigung annehmen. Die Zumutbarkeitsregelungen sind richtigerweise geändert worden. Aber denjenigen, die in Zukunft - nach der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe - Anspruch auf das Arbeitslosengeld II haben, muss jetzt der ortsübliche Lohn gezahlt werden.

   Herr Clement, es wäre gut gewesen, wenn Sie diese Regelung in der Schlussphase der Verhandlungen mit Ihren eigenen Leuten verhindert hätten. Sie hätten dabei auch auf das Sachverständigengutachten Bezug nehmen können. Der Sachverständigenrat hat mit nicht zu überbietender Klarheit festgestellt:

Die beschäftigungsfeindliche Wirkung von staatlichen Mindestlöhnen ist gut belegt. Deshalb muss auf diese generelle Mindestlohnregelung verzichtet werden.

   Wenn Sie Ihrem eigenen Sachverständigenrat nicht glauben, dann werfen Sie einen Blick nach Frankreich! In Frankreich gibt es seit einigen Jahrzehnten einen staatlichen Mindestlohn, wie Sie ihn jetzt in Deutschland faktisch einführen wollen. Ein staatlicher Mindestlohn klingt zunächst gut. Viele Bürgerinnen und Bürger sind der Meinung, dass es eine Untergrenze geben muss und dass der Staat dies zu regeln hat. Das ist in der Tat auch ein zusätzlicher Schutz für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

   In Frankreich können Sie aber die tatsächliche Wirkung solcher Regelungen besichtigen. Die Tatsache, dass in Frankreich die Jugendarbeitslosigkeit überproportional hoch ist, hat etwas damit zu tun, dass den schlecht qualifizierten Jugendlichen der Zugang zum Arbeitsmarkt durch den staatlich festgesetzten Mindestlohn verweigert und auf diese Weise Jugendarbeitslosigkeit in einer Größenordnung verfestigt wird, die wir in Deutschland Gott sei Dank bis heute nicht zu beklagen haben.

Wenn Sie aber zulassen, dass dieses Vorhaben in Deutschland weiter verfolgt wird, dann - das sage ich Ihnen voraus - werden in Deutschland in wenigen Jahren gerade bei der Jugendarbeitslosigkeit ähnlich hohe Zuwachsraten zu verzeichnen sein wie in Frankreich. Lassen Sie das! Es hat keinen Sinn, diesen Weg zu gehen. Ein drittes Beispiel: Herr Clement, wir haben vor fast genau einem Jahr im Zuge der Beratungen des Haushalts 2003 in diesem Hause sehr darüber gestritten, wie wir die Zeitarbeitsbranche in Zukunft tarifpolitisch behandeln wollen. Ich habe Ihnen damals dringend geraten, bei dem zu bleiben, was Sie für richtig gehalten haben, und die Zeitarbeit nicht vom ersten Tage an gesetzlich in der Weise zu regeln, dass dort gleicher Lohn zu gleichen Bedingungen gezahlt werden muss. Ferner haben wir Ihnen dringend geraten, nicht die gesetzliche Verpflichtung aufzunehmen, dies an entsprechende Tarifverträge zu binden.

   Was in diesen Tagen, ein Jahr später, in der Zeitarbeitsbranche auch im Hinblick auf das Datum 1. Januar 2004 passiert - Sie haben damals eine Frist von etwas über einem Jahr in das Gesetz hineingeschrieben -, zeigt, dass es weit schlimmer gekommen ist, als wir es vor einem Jahr befürchtet hatten. Es gibt nämlich nicht nur Tarifverträge, die als solche nicht zu kritisieren sind, sondern es gibt auch eine massive Konkurrenz der IG Metall insbesondere gegen die christlichen Gewerkschaften.

(Klaus Brandner (SPD): Es ist ja eine Beleidigung, die christlichen Gewerkschaften als Konkurrenz darzustellen!)

- Dieser Zwischenruf ist aufschlussreich: Es sei eine Beleidigung, die christlichen Gewerkschaften als Konkurrenten der IG Metall zu bezeichnen. Das ist bezeichnend für das Denken, das in Ihren Reihen bis zum heutigen Tage vorherrscht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Meine Damen und Herren, es sind Tarifverträge mit der Christlichen Gewerkschaft Metall abgeschlossen worden. Dagegen klagt die IG Metall. Sie klagt nicht gegen die Tarifverträge, sondern sie versucht, auf dem Klagewege der CGM die Eigenschaft als Gewerkschaft streitig zu machen, was die fatale Folge hat, dass in vielen Betrieben die dort bestehenden Tarifverträge gar nicht angewandt werden, weil man überall Angst davor hat, dass sich die IG Metall mit ihren Klagen durchsetzt.

(Klaus Brandner (SPD): So mächtig ist die CGM! Deshalb ist das eine Beleidigung! - Weitere Zurufe von der SPD)

- Auch diese Zwischenrufe sind bezeichnend. - Die fatale Folge dessen ist, dass die Zeitarbeitsbranche in Deutschland zur Lösung der Probleme praktisch keinen Beitrag mehr leisten wird; dies verhindern die Funktionäre der IG Metall.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ich komme zu einem vierten großen Bereich, den Sie zum Thema gemacht haben und bei dem Sie in den jüngsten Tagen - Angela Merkel hat gestern schon darauf hingewiesen - total gescheitert sind, nämlich dem Thema Ausbildungsplatzabgabe. Herr Clement, Sie haben völlig zu Recht bis in die jüngsten Tagen hinein auch in Ihren eigenen Reihen gesagt, dass eine solche Abgabe schädlich und falsch sei. Trotzdem ist sie auf dem Bundesparteitag der SPD gegen Ihren erklärten Willen beschlossen worden. Die Tatsache, dass Sie einen relativ kleinen Delegiertenschlüssel haben und viele Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion Delegierte auf Bundesparteitagen sind, zeigt, dass Sie offensichtlich in Ihrer eigenen Fraktion keine Mehrheit für das gefunden haben, was Sie für richtig halten.

(Beifall bei der CDU/CSU - Zurufe von der SPD - Gegenruf des Abg. Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Wer war denn von Ihnen nicht da? Die sollen sich mal melden! Es waren doch alle da!)

- Entschuldigung, es ist doch offensichtlich so, wie ich es dargelegt habe: Das Thema Ausbildungsplatzabgabe wird auf der Regierungsbank anders als in den Regierungsfraktionen, insbesondere in der SPD-Fraktion, gesehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Jetzt lese ich Ihnen etwas vor, was vor einigen Wochen ein betroffener Arbeitgeber in einem Leserbrief geschrieben hat.

(Unruhe bei der SPD)

- Das mögen Sie nicht gern hören. Ich lese es Ihnen trotzdem vor. Er beschreibt seine Erfahrungen, wie es ist, wenn er Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt und anschließend Bewerber in sein Unternehmen kommen und sich vorstellen.

auf reines Grundwissen zielende Testaufgaben und Fragen können nicht einmal in Ansatz und Tendenz richtig gelöst und beantwortet werden, zum Teil kommen „weiße Blätter“ zurück. Verstehen und Erklären einfachster Konstruktionszeichnungen - Fehlanzeige. Mal die Homepage unseres Unternehmens angeschaut? Nein, nicht dran gedacht. Totaler Blackout beim Versuch eines Gesprächs über Themen der Allgemeinbildung oder des aktuellen Tagesgeschehens; Geschichte, Geographie, Europa, simple weltpolitische Zusammenhänge - nicht der Schimmer einer Ahnung. Schulterzucken auf die Frage nach Berufs- und Lebenszielen. Dies alles gepaart mit einem Sprachstil, der in Phonetik und Aussagesinn weithin unverständlich bleibt, und mit einem Auftreten, das oft die elementarsten Benimm-Regeln vermissen lässt.

(Zurufe von der SPD)

- Was ich Ihnen vorlese, sind die Erfahrungen eines Unternehmers. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, sind meilenweit davon entfernt, überhaupt noch zu wissen, was in den Betrieben heute passiert.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Das Zitat trifft auch für die SPD-Fraktion zu! - Widerspruch bei der SPD)

- Wenn man diese Zwischenrufe hört - leider können die Fernsehzuschauer nicht alles hören, was Sie dazwischenrufen -, dann könnte man annehmen, das Zitat, das ich hier gerade vortrage, stelle eine Situationsbeschreibung der SPD-Bundestagsfraktion dar.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Unternehmer schreibt weiter:

Solange Computerspiele, Disco und Designerklamotten die Kernkompetenzen vieler unserer 18 bis 20 Jahre alten Schulabgänger sind und das fatale Motto „Erst der Spaß, dann das Vergnügen“ ihr Dasein prägt, ist tiefste Besorgnis angesagt, dass diese hochprozentig ignorante Generation wählen darf und die Zukunft unserer Wirtschaft und Gesellschaft gestalten soll.

(Zuruf von der SPD: Machen Sie doch nicht die Jugendlichen schlecht!)

Jetzt kommt der entscheidende Satz:

Die geschilderten Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis beweisen zugleich den ganzen Schwachsinn einer Ausbildungsplatzabgabe.

   Dies ist sicherlich eine Momentaufnahme. Hier ist jemand an die Öffentlichkeit gegangen, der sehr frustriert ist und der Erfahrungen mit jungen Menschen gemacht hat, die sicherlich nicht repräsentativ sind.

(Zurufe von der SPD: Aha!)

Aber Tatsache ist doch - wenn Sie genau hinschauen, dann müssten auch Sie das wissen -, dass ein großer Teil der Ausbildungsplätze in Deutschland nicht deswegen nicht besetzt werden kann, weil es nicht genügend Betriebe gibt, die ausbilden, sondern weil die Betriebe kaum noch qualifizierte Bewerber für die vorhandenen Ausbildungsplätze bekommen. Vor diesem Hintergrund ist eine Ausbildungsplatzabgabe doch Unfug. Denn die Betriebe, die ausbilden wollen und die hohe Anforderungen stellen bzw. stellen müssen, werden durch eine solche Abgabe doppelt bestraft: Ausbildungsplätze bleiben mangels qualifizierter Bewerber unbesetzt und gleichzeitig muss eine Ausbildungsplatzabgabe entrichtet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Clement, wenn Sie noch einen Rest an Durchsetzungsvermögen in der Regierungskoalition haben, dann sorgen Sie bitte dafür, dass der entsprechende Gesetzentwurf, der offenbar die Handschrift von Herrn Müntefering trägt, im nächsten Jahr erst gar nicht in den Deutschen Bundestag eingebracht wird.

   Ich möchte noch etwas zu dem momentanen Vermittlungsverfahren sagen - der Meinungsbildungsprozess ist sicherlich sehr schwierig -, das große Teile Ihrer Gesetzgebung betrifft und das das größte der letzten Jahre, wenn nicht sogar des letzten Jahrzehnts ist. Der Bundeskanzler hat mehrfach eingewandt, der Zusammenhang, den die Union zwischen den Reformgesetzen betreffend den Arbeitsmarkt und seinem Wunsch, die Steuern zum 1. Januar 2004 zu senken, herstellt, sei unzulässig. Ich möchte Ihnen sehr deutlich sagen: Wenn die geplante Steuersenkung, die zumindest teilweise kreditfinanziert werden muss, überhaupt eine Chance auf unsere Zustimmung haben soll, dann müssen gleichzeitig Arbeitsmarktreformgesetze verabschiedet werden, die im nächsten Jahr in Deutschland zumindest ein so großes Maß an Wachstum und Beschäftigung ermöglichen, dass die mit der Steuersenkung verbundenen Steuerausfälle schnell kompensiert werden. Sonst macht das Ganze keinen Sinn. Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass es einen inneren Zusammenhang zwischen Steuergesetzgebung und Arbeitsmarktgesetzgebung gibt. Wer dies bestreitet, der legt selbst den Keim für das Scheitern des Vermittlungsverfahrens. Das ist so. - Herr Clement, Sie lachen jetzt darüber. Das Lachen wird Ihnen am Ende dieses Jahres - möglicherweise - vergehen, wenn Sie so weitermachen.

(Widerspruch bei der SPD)

Wir legen Wert darauf, dass hier Gesetze verabschiedet werden, die wenigstens den Hauch einer Chance eröffnen, dass wir im nächsten Jahr aus der Wachstums- und Beschäftigungskrise herauskommen. Dazu gehört das, was nicht wir zuerst thematisiert haben, sondern was der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung am 14. März dieses Jahres ausdrücklich angesprochen hat, nämlich das Thema betriebliche Bündnisse für Arbeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich erwähne das deshalb, weil uns die Gewerkschaften, aber auch die Regierung ständig vorwerfen, es gebe nicht einen einzigen Fall in Deutschland, anhand dessen man nachweisen könne, dass die Gewerkschaften nicht vernünftig genug seien, trotz bestehender Tarifverträge betriebliche Bündnisse für Arbeit mit ihrer Zustimmung zu ermöglichen. Ich möchte Ihnen ein konkretes Beispiel aus jüngster Zeit nennen, das das genaue Gegenteil belegt - das kann man zurzeit jeden Tag überall in Deutschland, ob im Norden, im Süden, im Westen oder im Osten, beobachten -: In der schönen Stadt Murrhardt, nördlich von Stuttgart, lässt die Firma Soehnle Küchenwaagen produzieren. In diesem Unternehmen ist ein Abänderungstarifvertrag mit Zustimmung der Belegschaft, der Geschäftsleitung und des Betriebsrates, auch der dort vertretenen IG-Metall-Mitglieder, abgeschlossen worden. Mit diesem Tarifvertrag sollten die Streichung einer fünfminütigen Pause und die Senkung der Zuschläge bei Akkordlöhnen von 127 Prozent auf 113 Prozent ermöglicht werden. Alle Beteiligten waren sich einig. Aber dann hat die stellvertretende Bevollmächtigte der IG Metall dagegen interveniert. Sie hat Folgendes geschrieben:

Wenn es zu wenig Arbeit in Murrhardt gibt, schlagen wir Kurzarbeit oder eine Betriebsvereinbarung ... vor. Dabei gibt es auch Lohn- und Gehaltseinbußen ..., aber im Gegenzug mehr Freizeit und eine bessere Absicherung ihres Arbeitsplatzes durch die verkürzte Arbeitszeit für alle.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Unglaublich!)

   Das, was diese Dame schreibt, unterliegt der Meinungsfreiheit in Deutschland und niemand bestreitet ihr das Recht, so etwas zu schreiben. Aber von einem solchen Unsinn darf sich doch nicht ein ganzer Betrieb auf dem Weg aufhalten lassen, eine vom Tarifvertrag abweichende Vereinbarung zu treffen, die regelt, dass Beschäftigung gesichert werden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nicht nur diejenigen von Ihnen, die aus Baden-Württemberg kommen, können sich das an Ort und Stelle ansehen.

   Das Ergebnis dieser Intervention ist, dass diese Produktionslinie dorthin nicht vergeben worden ist und dass dieser Standort wahrscheinlich mittelfristig geschlossen wird. Dahinter steht die Ignoranz von IG-Metall-Funktionären außerhalb der Betriebe. Dieser Fall dokumentiert gleichzeitig das hohe Maß an Vernunft von IG-Metall-Mitgliedern und -Betriebsräten in den Betrieben. Herr Clement, es muss einen Weg geben, wie mit von Tarifverträgen abweichenden Vereinbarungen betriebliche Bündnisse für Arbeit möglich werden. Wenn Sie unseren Weg nicht für richtig halten, aber gemeinsam mit dem Bundeskanzler der Auffassung sind, dass dieses Ziel erreicht werden muss, dann zeigen Sie uns einen anderen Weg auf. Ohne einen solchen Weg kommen wir in Deutschland aus der Beschäftigungskrise nicht heraus. Dieser Weg muss jetzt gemeinsam mit Ihnen beschritten werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Zum Ende des Jahres 2003 stehen wir in der Tat vor sehr schwierigen Beratungen. Unsere Vorsitzende hat gestern sehr klar und deutlich zum Ausdruck gebracht: Wir sind weiterhin bereit, mit Ihnen Kompromisse auszuhandeln. Das erfordert der Föderalismus. Dass der Bundesrat vielen Gesetzen, die der Bundestag verabschiedet hat, zustimmen muss, ist nun einmal so; wir können das - jedenfalls kurzfristig - nicht ändern.

   Diese Kompromisse sind aber keine Kompromisse um ihrer selbst willen; es müssen vielmehr Kompromisse sein, die uns in Deutschland aus der anhaltenden strukturbedingten Wachstums- und Beschäftigungskrise wenigstens ein Stück weit herausführen. Herr Clement - ich hätte beinahe „Herr Gerster“ gesagt; ich kann gut verstehen, dass Sie bei diesem Namen nicht gern zuhören; diese Angelegenheit ist mittlerweile eine Belastung für die ganze Regierung geworden -,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

einen Weg in die andere Richtung - eine Verfestigung der Arbeitsmarktstrukturen; eine Verfestigung bestimmter Gesetze; noch mehr Bürokratie; die Einstellung von zusätzlichen 10 000 oder 12 000 Beschäftigten bei der Bundesanstalt für Arbeit, was bedeutet, dass diese Personen eine Aufgabe übernehmen, die heutzutage in die Zuständigkeit der Kommunen fallen; eine Regelung, die mehr oder weniger erfolgreich ist - werden wir nicht mitgehen.

   Ich sage von dieser Stelle aus: Wenn Sie einen Weg in die andere Richtung einschlagen wollen, dann ist es besser, es so zu belassen, wie es ist, so schlecht es auch sein mag. Aber der noch schlechtere Weg, die staatliche Bürokratie weiter auszudehnen, um damit die Bewirtschaftung der Arbeitslosigkeit auf einem noch höheren administrativen Niveau in Deutschland zu ermöglichen, ist nicht nur für uns, sondern auch für die Arbeitslosen in Deutschland unzumutbar.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Kollege Volker Kröning, SPD-Fraktion.

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Noch so ein Wahlsieger!)

Volker Kröning (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Merz, wir befinden uns in der zweiten und dritten Lesung des Bundeshaushaltes. Sie haben zu allem geredet, nur nicht zum Einzelplan 09, der heute Morgen aufgerufen worden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Kriegt der jetzt einen Eintrag ins Klassenbuch?)

Es ist ganz deutlich - ich glaube, niemand ist verstimmt, wenn er diese Absicht erkennt -, dass Sie nicht zum Haushalt, sondern zum Vermittlungsverfahren gesprochen haben. Wenn man Ihnen genau zugehört hat, dann musste man den Eindruck bekommen, dass Sie weder die Bereitschaft noch die Fähigkeit zum Kompromiss, den wir dringend brauchen, aufbringen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Der Haushalt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit sieht nach der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses für das Jahr 2004 Gesamtausgaben in Höhe von 32,95 Milliarden Euro vor. Dies sind rund 8 Milliarden Euro mehr, als im Regierungsentwurf vorgesehen. Dieser Aufwuchs beruht darauf, dass im parlamentarischen Verfahren Haushaltsmittel zur Umsetzung der neuen Leistung veranschlagt worden sind, die nach dem vom Deutschen Bundestag beschlossenen Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt die bisherigen Leistungen Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zur Mitte des nächsten Jahres ablösen soll.

   Außerdem sind in der Bereinigungssitzung die haushaltswirtschaftlichen Voraussetzungen für die Anschlussregelung zum Kohlekompromiss von 1997 für die Zeit ab 2006 geschaffen worden.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Wie viel waren das noch gleich zusätzlich? Herr Kollege Kröning, wie viel zusätzlich?)

- Herr Austermann, Sie kommen heute offenbar nicht zu Wort und deshalb müssen Sie Zwischenrufe machen.

   Schließlich haben wir im Rahmen des haushaltswirtschaftlich Möglichen zukunftsorientierte Maßnahmen verstärkt, unter anderem durch zusätzliche Mittel für die Energieforschung und die Unterstützung des Exports im Bereich erneuerbarer Energien, für die Verbesserung der Materialeffizienz und für das Vorhaben Innovationsregionen im Rahmen des Bürokratieabbaus und der Deregulierung.

   In seiner Struktur wird dieser Haushalt weiterhin durch die arbeitsmarktbezogenen Leistungen dominiert. Dafür werden rund 27,6 Milliarden Euro bereitgestellt. 14,7 Milliarden Euro davon entfallen auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende. Im Gegenzug ist der im Regierungsentwurf eingestellte Ansatz für Arbeitslosenhilfe halbiert worden. Die Leistungen für die Grundsicherung verteilen sich auf Leistungen zur Eingliederung in Arbeit mit rund 2,6 Milliarden Euro, auf das Arbeitslosengeld II mit rund 10,6 Milliarden Euro und auf die Erstattung der Verwaltungskosten mit rund 1,5 Milliarden Euro. Für die Arbeitslosenhilfe sind rund 6,7 Milliarden Euro und für den Zuschuss an die Bundesagentur für Arbeit rund 5,2 Milliarden Euro veranschlagt. Das Haushaltsgesetz ermächtigt den Bund, der Bundesagentur Liquiditätsdarlehen von bis zu 7 Milliarden Euro zu gewähren. Für Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik, im Wesentlichen JUMP-Plus und Sonderprogramm gegen Langzeitarbeitslosigkeit, werden rund 970 Millionen Euro bereitgestellt.

   Es tut mir Leid, dass ich Sie mit diesen Einzelangaben in Ihrer Kampfeslust offenbar gestört habe.

(Lachen bei der CDU/CSU - Dietrich Austermann (CDU/CSU): Uns auch! - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Sie stören niemanden mit der Rede! - Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Wir lassen uns nicht stören!)

Aber die Bürger und Bürgerinnen interessieren sich für die Leistungen, die wir mit dem Bundeshaushalt für sie erbringen, gerade auf den Gebieten Arbeitsmarkt und Wirtschaft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die Kalkulation der arbeitsmarktbezogenen Ansätze beruht auf den aktualisierten gesamtwirtschaftlichen Eckwerten der Bundesregierung und setzt voraus, dass die mit den Gesetzen Hartz I und Hartz II beschlossenen Konsolidierungsmaßnahmen im kommenden Jahr ihre volle Wirksamkeit auf der Ausgabenseite entfalten. Auf der Einnahmeseite ist der nach Hartz IV von der Bundesagentur an den Bund zu zahlende Aussteuerungsbetrag veranschlagt.

   Von dem verbleibenden Teil des BMWA-Haushalts in Höhe von rund 5,4 Milliarden Euro entfallen rund 2,2 Milliarden Euro auf die Kohlehilfen. Das ist gegenüber dem Ansatz 2003 ein Rückgang - ein Rückgang! - um 460 Millionen Euro, also mehr, als der Abbauschritt 2004 nach dem geltenden Kohlekompromiss vorsieht.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Es wird aber noch was draufgelegt! 16 Milliarden!)

Mit der Veranschlagung einer neuen Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 6,079 Milliarden Euro wird der Anschlussregelung ab 2006 Rechnung getragen,

(Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Gilt die denn schon?)

damit schon 2004 entsprechende Finanzierungszusagen gegeben werden können.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Und dann geht es wie weiter? - Weitere Zurufe)

Der Bund leistet seinen Beitrag unter der Voraussetzung, dass mit den Ländern Nordrhein-Westfalen und Saarland eine Verständigung über die Anschlussregelung erzielt wird.

(Anhaltende Zurufe - Dirk Niebel (FDP): Hört doch mal lieber zu!)

Dabei soll der Rückgang der Hilfen so flankiert werden, dass der unvermeidliche Personalabbau weiterhin sozialverträglich stattfindet.

Weitere 900 Millionen Euro entfallen auf die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Neben den Baransätzen für die GA-Ost und -West hatte der Regierungsentwurf Verpflichtungsermächtigungen nur noch für die GA-Ost in Höhe von 700 Millionen Euro vorgesehen. Da eine Erhöhung dieses Volumens zulasten des übrigen Haushalts dieses Ressorts oder zulasten des Gesamthaushalts ausschied, hat der Haushaltsausschuss beschlossen, dass im nächsten Jahr bis zu 100 Millionen Euro für die Jahre 2005 bis 2007 für die GA-West in Anspruch genommen werden können. Dafür bleibt der Planungsausschuss verantwortlich, der für die Gemeinschaftsaufgabe insgesamt eine Klammer zwischen Ost und West bildet. Wenn der Wille des Haushaltsgesetzgebers erfüllt werden soll, sollte der Bund seine Stimmen für eine strukturgerechte Verteilung der Mittel sowohl in Ost als auch in West einsetzen. Es wäre gut, wenn der zuständige Unterausschuss des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit diese Entwicklung weiterhin begleiten würde, gerade auch im Hinblick auf die Zukunft der Strukturpolitik auf EU- und Länderebene.

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

   Nun zum weiteren Förderungskatalog in der Reihenfolge der Titelgruppen, wobei die quantitativen Größenordnungen nichts über die qualitative Bedeutung bzw. die Schwerpunktsetzung aussagen.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Nicht jede Titelgruppe vorlesen! - Zuruf des Abg. Dirk Niebel (FDP))

- Herr Austermann, leider kann man das draußen nicht hören.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Ich sagte: Nicht alle Titelgruppen vorlesen!)

Ich kann Ihnen nur entgegnen: Sie haben sich überhaupt nicht beteiligt,

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Darum ist das Ergebnis auch entsprechend!)

deshalb sind Sie gar nicht fähig, über die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses zu berichten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Für die Energieforschung sind rund 131 Millionen Euro vorgesehen, mehr als im Jahre 2003. Für Maßnahmen zur Förderung der rationellen und sparsamen Energieverwendung stehen nach dem Übergang der Zuständigkeit für das Marktanreizprogramm und für das 100 000-Dächer-Programm auf das Bundesumweltministerium noch Mittel in Höhe von 25,6 Millionen Euro zur Verfügung. Der Ansatz für die 2003 begonnene Exportinitiative für erneuerbare Energien wird gegenüber dem Regierungsentwurf auf 18 Millionen Euro verstärkt.

   Die Mittel für Forschung und Entwicklung und für Innovation im Mittelstandsbereich erhöhen sich auf 432 Millionen Euro, nicht berücksichtigt ist dabei die Abwicklung der Altfälle aus dem Programm Beteiligungskapital für kleine Technologieunternehmen. Die industrielle Gemeinschaftsforschung, das Projekt Multimedia und das Programm Netzwerkmanagement Ost werden auf hohem Niveau fortgeführt. Auf gleichem Niveau wie im Vorjahr wird auch die Förderung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen fortgeführt; die Beratung und Schulung von Existenzgründern wird sogar gegenüber 2003 verstärkt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Kleine und mittlere Unternehmen müssen sich besonders auf die Rating-Anforderungen der Kreditinstitute aus dem Basel-II-Abkommen einstellen.

   Deshalb erwähne ich gerne auch, dass zum Jahr 2004 das Gesamtkonzept der Mittelstandsförderung gestrafft wird; übrigens nach konstruktiver Mitwirkung des Bundesrechnungshofes. Dazu gehören so wichtige Elemente wie der Beteiligungskapitaldachfonds, die Kooperation zwischen Wirtschaft und Forschung und die Förderung von Wachstumsträgern in benachteiligten Regionen. Der finanzielle Kern der Mittelstandsförderung ist inzwischen bei der Mittelstandsbank gebündelt worden. Die KfW berichtet darüber in ihrem jüngst erschienenen dritten Quartalsbericht.

(Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Der Mittelstand wird doch von Ihnen geplündert!)

Es wird höchste Zeit, dass sich die privaten Banken wie die öffentlichen Hände an der Lösung der Finanzkrise des Mittelstandes beteiligen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich kann jedenfalls für die Bundesregierung und die Koalition sagen: Mittelstands- und Innovationsförderung sind keine Lippenbekenntnisse, sondern Schwerpunkte unserer Politik.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Dietrich Austermann (CDU/CSU): Der brennt ja hier ein rhetorisches Feuerwerk ab! - Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Das ist der Witz des Monats!)

   Dem Mittelstand dient insbesondere die Außenwirtschaftsförderung, die im Regierungsentwurf von 121 Millionen Euro im Vorjahr auf knapp 170 Millionen Euro aufgestockt wurde. Der Haushaltsausschuss hat daran festgehalten. Im Vordergrund steht die Außenwirtschaftsoffensive der Bundesregierung mit der neuen Invest in Germany GmbH, mit dem Auslandsmesseprogramm, dem Netz der Auslandshandelskammern und dem Korrespondentennetz der Bundesagentur für Außenwirtschaft. Die Rolle des Exports bei der Stabilisierung und Belebung der Konjunktur kann gar nicht ernst genug genommen werden; gerade das Engagement kleiner und mittlerer Unternehmen auf Auslandsmärkten dient dem Standort Deutschland.

(Unruhe bei der CDU/CSU)

   Für die Bereiche Luftfahrtforschung und -technologie stehen 2004 fast dieselben Mittel wie 2003 zur Verfügung, nämlich rund 74 Millionen Euro. Zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Werften wird ein Innovationshilfeprogramm aufgelegt, das mit jeweils 15 Millionen Euro zwischen 2004 und 2007 ausgestattet wird. Mit dem Programm sollen anstelle der klassischen Produktionshilfe anwendungsnahe Innovationen der Branche gefördert werden. Um die Hereinnahme einer großen Zahl von Aufträgen noch in diesem Jahr sicherzustellen, kann auf die Mittel der Innovationshilfe zugegriffen werden; doch dies darf nicht die Umstrukturierung der Werfthilfe gefährden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aufhören!)

- Ich freue mich ja, dass Sie im Saal bleiben und nicht rauslaufen.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Es fällt schwer!)

Offenbar interessiert Sie doch, worüber ich spreche.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Schließlich berichte ich aus der Bereinigungssitzung, dass die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post im Laufe des kommenden Jahres neue Zuständigkeiten, und zwar für die Bereiche Strom und Gas, erhalten soll. Dafür werden 60 neue Stellen vorgesehen, allerdings werden 42 Stellen gesperrt, von denen 15 aus Personalüberhängen aus anderen Bundesbehörden besetzt werden.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Was ist mit den anderen 39?)

   Der Haushaltsausschuss wird sich über verbleibende Fragen, die von der Aufstellung zum Vollzug hinüberreichen, informieren lassen.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Bitte gebt uns Müntefering!)

Er hat Berichtsaufträge von der endgültigen Einigung zur Kohlehilfe über die Entscheidung des Planungsausschusses für die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsstruktur“ bis zum Fortgang des Rechtsstreites über die Werfthilfe, der zwischen der EU und Südkorea geführt wird, beschlossen. Anfang bis Mitte 2004 wird darüber zu berichten sein.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Ein bisschen genauer!)

   Weitere Einzelheiten des Haushaltsentwurfes erspare ich Ihnen jetzt gerne; ich habe die Ergebnisse der Bereinigungssitzung mitgeteilt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

- Sie reden alle von Reparlamentarisierung, auch im Zusammenhang mit der Föderalismuskommission, aber Sie leisten keinen Beitrag zu einem vernünftigen Parlamentarismusverständnis,

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

wenn Sie sich hier nicht über die Ergebnisse der Haushaltsberatungen berichten lassen wollen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU/CSU: Bravo!)

   Mit den 14 Millionen Euro für die kommunikative Begleitung und die Evaluation wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Vorhaben, die das Ressort neben den allgemeinen Mitteln für Öffentlichkeitsarbeit auch im kommenden Jahr erhält, soll die Initiative „Teamarbeit für Deutschland“ fortgesetzt werden. Gerade die Vernetzung von zentralen und dezentralen Anstrengungen auf dem Arbeitsmarkt und auch die Aktivitäten für mehr Ausbildung erfordern solche Teamarbeit. Der Haushaltsausschuss wird regelmäßig über die Effizienz und die Wirkung dieser Netzwerkbildung informiert. Ich bitte Herrn Minister Clement und sein Ministerium, diese Aktivität mit Elan fortzusetzen.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Elan vor allem!)

Sie hat viel Vertrauen bei den örtlichen Akteuren geschaffen; das kann ich aus Bremen und aus anderen Regionen belegen.

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

   Mit demselben Ansatz werden auch unterstützende Aktionen zum Bürokratieabbau fortgesetzt. Der Masterplan der Bundesregierung ist zu wesentlichen Teilen von dem Ressort BMWA umzusetzen. Ich kann nicht erkennen, dass der Minister und sein Haus ihre Grundlinie verlassen hätten, wie uns Teile der Presse und der Opposition in letzter Zeit glauben machen wollen.

(Friedrich Merz (CDU/CSU): Unglaublich!)

Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Kollegen Bosbach und Röttgen widerlegt solche Behauptungen. Natürlich fällt der Abbau überflüssiger Bürokratie schwer; zu Recht wird die Sorge geäußert, dass der Saldo von Abbau alter und Aufbau neuer Bürokratie negativ bleiben könnte.

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

   Deshalb hält die Koalition auch an dem Vorhaben der Innovationsregionen fest. Auf der Basis der Erfahrungen mit den drei Testregionen Ostwestfalen-Lippe, westliches Mecklenburg-Vorpommern und Bremen soll 2004 ein bundesweites Auswahlverfahren stattfinden. Ich hoffe, dass alle Teile dieses Hauses und auch der Bundesrat daran interessiert bleiben, dafür die gesetzgeberischen Voraussetzungen zu schaffen.

   Zur Innovationspolitik gehört auch das Vorhaben zur Verbesserung der Materialeffizienz, das zunächst mit einem Baransatz von 1 Million Euro und einer Verpflichtungsermächtigung über 2 Millionen Euro ausgestattet wird. Die Vergabe der Studie und die Implementierung dieses Ansatzes will und muss der Haushaltsausschuss dem Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit überlassen. Wir würden es begrüßen, wenn das Vorhaben von vornherein mit der Industrie gemeinsam angegangen werden könnte.

(Unruhe bei der CDU/CSU)

   Ich muss noch auf das BTU-Programm eingehen. Wie 2003 und 2002 ist Mehrbedarf gegenüber dem Ansatz offenbar geworden. Ursache ist die Krise der Unternehmen des so genannten Neuen Marktes.

(Zuruf von der CDU/CSU: Und das als Entgegnung auf Friedrich Merz!)

Doch die Ausfälle bei den Beteiligungen der Förderbanken, die sich lange einer Schätzung entzogen hatten, haben sich unerwartet beruhigt. Kürzlich ist ein Artikel in der „Zeit“ erschienen - ein Vorabdruck aus einem neuen Buch mit dem Titel „Next Economy“ -, der den Hintergrund illustriert hat. Wir müssen und können uns zur Lösung des Problems auf einen Vermerk beschränken, der es erlaubt, die Ausgaben von bis zu 60 Millionen Euro durch Einsparungen an anderer Stelle des Einzelplans zu decken. Ich hoffe, dass dieser Rahmen nicht ausgeschöpft werden wird.

(Anhaltende Unruhe bei der CDU/CSU - Dietrich Austermann (CDU/CSU): Wir wollen Frau Pau hören!)

   Diese Notlösung offenbart allerdings ein Problem, das mehr politischer als rechtlicher Natur ist. Im Einzelplan des Ministeriums ist eine globale Minderausgabe in Höhe von 49,5 Millionen Euro vorgesehen,

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Waren das nicht Komma 6! - Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

die im Haushaltsvollzug erwirtschaftet werden muss. 65,7 Millionen Euro kommen als Ressortbeitrag zu der im Einzelplan 60 veranschlagten globalen Minderausgabe von 1 Milliarde Euro hinzu, und der Ressortbeitrag zu der weiteren im Einzelplan 60 veranschlagten globalen Minderausgabe in Höhe von 600 Millionen Euro ist noch offen.

   Darum ein generelles Wort zum Verhältnis von Haushaltsaufstellung und Haushaltsvollzug: Die Arbeitsmarktausgaben sind scharf kalkuliert und unausweichlich. Die Arbeitsmarktreform dient, ebenso wie die Arbeitsrechtsreform, der Senkung der so genannten Beschäftigungsschwelle in Zeiten geringen Wachstums und ist, wie die Reform der anderen sozialen Sicherungssysteme, Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum. Darum sind die Spielräume in diesem Bereich extrem eng.

(Zurufe von der CDU/CSU: Mehr Solidarität! - Klatscht doch mal!)

   Auch bei der Linie der Steinkohlenhilfe lassen sich nur schwer weitergehende Einsparungen ansetzen. Insgesamt wird sie sich nach dem Kohlekompromiss zwischen 1998 und 2005 von 4,7 Milliarden auf 2,7 Milliarden Euro reduziert haben, nach der Anschlussregelung zwischen 2006 und 2012 von 2,6 Milliarden auf voraussichtlich 1,8 Milliarden Euro, alles in jährlichen Schritten.

   Meine Damen und Herren, auch wenn der Haushaltsausschuss die Verpflichtungsermächtigung für die Steinkohlenhilfe gesperrt hat, weil wir uns bei der Kurzfristigkeit der Entscheidungen vorbehalten mussten, noch Einzelfragen zu klären, will ich vor dem aktuellen Hintergrund dieses Themas sagen: Diese Sperre ist keine Reißleine für den neuen Kohlekompromiss.

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Sondern?)

   Ich sage im Übrigen zu der globalen Minderausgabe auch deshalb noch einiges, weil das Vermittlungsverfahren, vor allen Dingen über das Haushaltsbegleitgesetz, die Frage aufwirft, wo überhaupt in diesem Haushalt noch Kürzungen vorzunehmen sind. Das Problem verschärft sich dadurch, dass diese Aufgabe nicht mehr in die Phase der Haushaltsgesetzgebung fällt, sondern der Exekutive und dem Haushaltsausschuss überlassen bleibt.

(Friedrich Merz (CDU/CSU): Unglaublich!)

Es geht um Kürzungen von bis zu 235 Millionen Euro, wenn das BTU-Risiko in voller Höhe eintritt und wenn von der restlichen globalen Minderausgabe prozentual genauso viel auf das Ressort entfällt wie von der bereits ressortweise aufgeteilten Minderausgabe.

   Nimmt man aus dem Plafond die bisher am meisten diskutierten Ausgaben, nämlich für die Leistungen nach dem SGB III und dem SGB II und für die übrigen Arbeitsmarktausgaben, die Ausgaben für Steinkohlenhilfe, die Mittel für die regionale Wirtschaftsförderung und auch die Werfthilfe, heraus, bleiben als Bemessungsgrundlage für die Erwirtschaftung der zusätzlichen Einsparungen nur 1,5 Milliarden Euro. Davon müssen rund 15 Prozent gekürzt werden. Wie viele Ausgaben bereits rechtlich gebunden sind, lässt die Betrachtung dabei noch offen.

   Dies wird eine schwere Aufgabe sein, und ich biete, jedenfalls namens der Koalition - denn ich kann nicht erkennen, ob die Opposition ihre Arbeitsverweigerung der letzten Wochen, die auch heute besonders deutlich wird, fortsetzen will oder nicht -,

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Das ist eine Redeverweigerung, was Sie hier machen!)

dem Minister und seiner Verwaltung für die Lösung dieser schwierigen Aufgabe weiterhin eine gewissenhafte Zusammenarbeit an.

   Ich erwarte allerdings auch, dass zusammen mit dem Bundesfinanzministerium über den Subventionsbegriff Klarheit geschaffen wird, nicht nur auf der Ausgaben-, sondern auch auf der Einnahmenseite, und vor allen Dingen über eine Strategie, die nicht nur die Staatsausgaben reduziert, sondern auch ihre Qualität verbessert.

Die beiden Fälle der Grundversorgung mit Steinkohle und des Umbaus der Werftindustrie zeigen, dass Subventionsabbau kein Selbstzweck ist und dass es vor allem darum geht, die Schwerpunkte von Finanzhilfen ebenso wie von Steuervergünstigungen in zukunftsorientierte Bereiche zu verlagern. Auch die Wirtschaftsförderung dient zentral wie dezentral, in den Ländern und Gemeinden, dem Strukturwandel. Das müssen die Planken für die Erwirtschaftung der Minderausgaben nicht zuletzt in diesem Ressort sein. Wahrscheinlich müssen auch zusätzliche Bewirtschaftungsmaßnahmen über das Jahr hinweg stattfinden. Ich wiederhole: Dabei kann kein Bereich tabu sein.

   Die Auseinandersetzung um den Stabilitäts- und Wachstumspakt hat jenseits aller politischen und fachlichen Differenzen gelehrt: Auch 2005 wird eisern zu sparen sein; weitere Veränderungen in der Haushaltsstruktur bleiben auch dem Einzelplan 09 nicht erspart. Haushaltsvollzug und Haushaltsaufstellung werden deshalb auch in Zukunft viel Arbeit machen.

   Ich danke zum Schluss beiden Ressorts, dem Ressort Wirtschaft und Arbeit sowie dem Ressort Finanzen, für die gute Zusammenarbeit. Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen - besonders hebe ich meine Kollegin Anja Hajduk hervor - für die Zusammenarbeit in der Berichterstatterrunde.

   Ich kann zum Trost sagen: Die Zusammenarbeit mit der Opposition ist intern besser, als sie sich nach außen darstellt. Ein Grund für den Politikverdruss im Lande ist, dass man Ihnen Ihre Reaktionen in diesem Hause nicht mehr abnimmt. Man erwartet, dass die Zusammenarbeit intern besser funktioniert, als sich gerade bei Ihren Kindereien gezeigt hat.

   Ich bitte um Zustimmung zum Einzelplan 09.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Zugabe! - Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Das war ein Feuerwerk!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Rainer Brüderle, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP - Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank! - Dirk Niebel (FDP): Weck uns auf, Rainer!)

Rainer Brüderle (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute können wir in den Zeitungen lesen: Ermahnung der OECD: Deutschland braucht mehr Reformen. Deutschland hängt zu einseitig vom Export ab.

   Wir kommen nicht voran. Das muss doch unser Thema sein. Lieber Herr Kollege Kröning, was ist das für ein Politikverständnis, wenn man hier nur die Titelgruppen des Haushalts buchhalterisch einsortiert? Wir müssen doch die Wirtschaftspolitik, die Sie betreiben, politisch bewerten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn Sie Wirtschaftspolitik auf die Art und Weise betreiben, wie Sie hier reden, dokumentieren Sie doch nur Ihr Desinteresse an der Lösung der Probleme dieses Landes. Es als „Kinderei“ zu bezeichnen, dass wir eine politische Bewertung durchführen wollen, ist falsch; denn dazu ist das Parlament doch da. Ihre Rede führt dazu, dass draußen abgeschaltet wird.

(Jörg van Essen (FDP): So ist es!)

Wir wollen aber, dass mehr Menschen anschalten, sich mit der Politik beschäftigen, teilhaben und nicht vor der Politik weglaufen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Der vorliegende Haushaltstorso ist - wir haben das schon deutlich gesagt - nicht beratungsfähig. Er ist verfassungswidrig und verstößt gegen internationale Vereinbarungen. Heute können Sie in den Zeitungen lesen: Frankreich fordert einen neuen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Der italienische Finanzminister sagt: Der Pakt I ist am Ende. Jetzt muss etwas ganz anderes kommen.

   Sie haben mit Ihrem Vorgehen den Stabilitäts- und Wachstumspakt gekillt. Mein Freund Guido Westerwelle hat gestern deutlich gesagt, dass wir die längste Wirtschaftskrise in der Nachkriegsgeschichte haben. Wir haben die größte Pleitenzahl. Die Staatsschulden erreichen ständig neue Rekordhöhen. Jetzt weiß ich auch, weshalb Sie sich im Verfassungsentwurf nicht um klare Formulierungen hinsichtlich Preisstabilität und Wahrung der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank bemüht haben. Sie wollen das gar nicht. Auf Ihre lockere, hedonistische Schuldenpolitik soll eine politisierte, laxe Geldpolitik folgen. Wenn das so weitergeht, kann man nur sagen: Tschüss, Euro.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das Vertrauen in den Euro wird damit kaputtgemacht.

   Ihre Realitätsverweigerung wird hier sehr deutlich. In Amerika gibt es ein Wachstum von 8,2 Prozent. Bei einer Steigerung des Wachstums um 1 oder 2 Zehntel Prozentpunkte gibt es schon Hurrameldungen des Wirtschaftsministers: Die Wirtschaft zieht an; es geht aufwärts. Aber diese Steigerung ist jenseits der Messgenauigkeit. Auch der Ifo-Index spiegelt nur die Erwartungen wider. Sie müssen sich erst noch erfüllen. Selbst wenn sie sich erfüllen würden, wäre das höchst bescheiden.

Deutschland ist schlecht vorbereitet auf exogene Schocks. Die sich abzeichnende kleine Erholung ist sozusagen von der Weltwirtschaft geliehen. Sie ist nicht hausgemacht. Die hausgemachten Probleme sind nicht gelöst. Das Kernproblem ist, dass das Potenzialwachstum, das den Wachstumspfad der deutschen Wirtschaft charakterisiert, entschieden zu niedrig ist. Es hat eine Größenordnung von 1 bis 1,5 Prozent. Damit kommen wir nicht aus den Arbeitsmarktproblemen heraus. Japan, das sich gerade langsam erholt, lehrt, was die Folge ist, wenn man Strukturprobleme - wenn es dort auch andere sind - nicht löst: Man wird eine lange Zeit miese Wachstumsraten haben. Das ist „jobless growth“. Sie werden es im nächsten Jahr wieder erleben: Dieses bisschen Wachstum wird am Arbeitsmarkt nichts verbessern.

   Sie müssen an die Kartelle herangehen. Das Tarifkartell muss aufgebrochen werden. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung sagt es eindeutig: Die letzten fünf Jahre hat das Kartell „den Verteilungsspielraum markant überzogen“.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn Sie nicht mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt ermöglichen, geben Sie den Arbeitslosen, denen, die draußen stehen, keine Chance. Sie sichern nur das Kartell ab. Das genügt nicht. Nur wenn mehr Menschen in Arbeit sind, entsteht mehr Wachstum.

   Deshalb brauchen wir die betrieblichen Bündnisse für Arbeit. Wir müssen Einstellungshemmnisse wegräumen. Wenn die kleinen Betriebe jemanden einstellen, haben sie Angst, sich von ihm nicht wieder trennen zu können, wenn Aufträge ausbleiben. Deshalb muss der Vermittlungsausschuss, damit Deutschland vorankommt, neben der Entlastung im steuerlichen Bereich auch hier Reformen zustande bringen. Sonst wird wieder eine Chance vertan, sonst versündigen wir uns geradezu an der Politik.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Nach dem Genossenparteitag in Bochum hat sich der Zickzackkurs in der Wirtschaftspolitik noch verschlimmert. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Lassen Sie Karl Marx im Museum in Trier! Der Wirtschaftspolitik fehlt die Linie. Sie hat keinen Charakter. Sie wird kein Vertrauen schaffen. Auf dem Parteitag der SPD wurde den Linken Valium gegeben. Die Dosis war offenbar falsch. Die Verlängerung der Steinkohlesubventionen, die Ausbildungsplatzabgabe und wiederentdeckte Arbeiterlieder werden es nicht bringen.

   Kollege Müntefering sagt wörtlich: Der liebe Gott ist mit uns. - Vorsicht! „Gott mit uns“ gab es schon einmal. Ich habe dort nur den Erzengel Gabriel gesehen. Wenn ich Ihre Beschlüsse betrachte, muss ich sagen: Der Teufel hat Sie geritten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Franz Müntefering (SPD): Was wissen Sie denn vom Teufel?)

   Herr Clement, Sie mussten erneut eine herbe Heimniederlage einstecken. Beim Ökostrom hat Herr Trittin Sie eingedost. Beim Kündigungsschutz waren es die Gewerkschaften und Ihre Fraktion. Die Ausbildungsplatzabgabe kommt auf den Tisch. Wann ist eigentlich die Grenze Ihrer Selbstachtung erreicht? Was sagen Sie Ihren Töchtern, wenn Sie ständig als Tiger losspringen und als Bettvorleger landen? Was ist das für eine Politik? Wo liegt die Grenze der Selbstachtung? Was machen Sie noch mit?

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist aber peinlich! Lassen Sie die Töchter aus dem Spiel!)

   Ich sage ganz offen und ehrlich: Sie haben bei vielen Dingen richtig gelegen. Aber Sie haben nichts durchgesetzt. Wahrscheinlich sind Sie in der falschen Partei.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU):
Will die FDP ihn haben, Herr Brüderle?)

Die Ausbildungsplatzabgabe haben Sie als Verstaatlichung der Berufsausbildung bezeichnet. Sie haben völlig Recht. Nur haben Sie sie nicht verhindert. Frau Dückert spricht von einer Strafsteuer. Diese grün-rote Lehrlingssteuer wird keine Ausbildungsplätze bringen, sondern Ausbildungsplätze kosten. Sie ist ein völlig falscher Ansatz.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Auch die SPD-Wirtschaftsminister sehen es ähnlich. Herr Schartau hat sich gleich zu Wort gemeldet. Auch er hält sie für falsch. Aber die Experten haben bei dieser Anwandlung kollektiver Unvernunft offenbar keine Chance.

   Bei den Steinkohlesubventionen wird die individuelle Unvernunft des Bundeskanzlers kollektiviert. Er hat der Ruhrkohle nach Gutsherrenart 16 Milliarden Euro versprochen. Das ist ein Stück aus dem Tollhaus. Wir diskutieren und ringen hier miteinander über Subventionsabbau; gleichzeitig schustert der Bundeskanzler seinem früheren Wirtschaftsminister, den er beim Deal mit Eon und Ruhrgas schön bei der Ruhrkohle AG untergebracht hat, 16 Milliarden Euro zu. Was ist das für eine Politik? Beim Parteitag kommen dann die Jubelperser mit Schildern: Danke, Gerd! - Diese Schilder haben Sie mit 16 Milliarden Euro teuer bezahlt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Hier hat die rote Kumpelwirtschaft wieder einmal prächtig funktioniert. Holzmann lässt grüßen! Gleichzeitig kürzt die Bundesregierung die Ausgaben für die Bildung. Wir brauchen mehr Kohle für Bildung, nicht mehr Kohle für Kohle. Das ist eine völlig falsche Politik.

Die Grünen haben am Montag, großartig formuliert, der Presse vorgetragen, dass „angesichts der fehlenden Mittel in den Bereichen Bildung, Forschung und Innovationspolitik nicht zu rechtfertigen“ sei, einen Steinkohlesockel zu finanzieren. Sie sind wie immer platt; Sie tragen es mit, Sie nicken es ab, weil Sie in Ihren Sesseln bleiben wollen. Herr Kuhn, heute machen wir aber den Ernsthaftigkeitstest. Wir wollen eine namentliche Abstimmung über die Kohlesubventionen. So können Sie einmal zeigen, wo Sie stehen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Frau Sager, diese ökonomische Visionärin, behauptete hier gestern, die FDP habe die Kohlesubventionen nicht gekürzt. Das zeugt entweder von Unkenntnis oder ist eine glatte Lüge. Günter Rexrodt war es, der damals die Steinkohlesubventionen gekürzt hat. Der frühere Kommandeur der Putztruppe, Joseph Fischer,

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein guter Mann!)

und Oskar Lafontaine sind damals mit den Kumpels marschiert und haben vor der FDP-Zentrale Randale gemacht. Sie haben sich damals für die Steinkohlesubventionen eingesetzt. Frau Sager, was Sie hier vorführen, ist der Gipfel der Scheinheiligkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Die Grünen machen immer nur Symbolpolitik. Manchmal wird eine Zeche stillgelegt oder Sie feiern zulasten der Steuerzahler eine geschmacklose Party wegen der Stilllegung des Kernkraftwerks Stade. Eine energiepolitische Konzeption liegt aber bis heute nicht auf dem Tisch.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Richtig!)

Es ist utopisch und gefährlich, allein auf erneuerbare Energien zu setzen. Für jede Kilowattstunde Windenergie muss eine Kilowattstunde Atom- oder Kohlestrom vorgehalten werden. Wenn wir das nicht selbst tun, geschieht das in Frankreich oder in Ländern in Osteuropa. Das ist die Wahrheit.

   Der Bundeskanzler schickt seinen Lieblingsgewerkschafter Schmoldt vor, der wieder einmal anregen darf, ob man über Kernenergie nicht neu nachdenken müsse. Ohne einen anderen Energiemix, werden Sie die Exportabhängigkeit Deutschlands in der Energiepolitik auf Dauer nicht beseitigen können. Mit den Milliardensubventionen für die Windkraft und für die Kohle machen Sie lupenreine grüne und rote Klientelpolitik.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Angesichts dessen ist es regelrecht eine Frechheit, uns bei der Handwerksordnung Klientelpolitik vorzuwerfen.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber sicher! Wem denn sonst?)

Wir wollen keine müde Mark, keinen Euro für das Handwerk. Wir wollen nur eine Reform, eine Chance für mittelständische Strukturen. Der Grund für Ihr Vorgehen ist doch, dass Sie von nur wenigen Vertretern des Handwerks gewählt werden. Sie wollen das deutsche Handwerk dafür abstrafen, dass es nicht Grün-Rot wählt. Das ist die Absicht, die hinter Ihrem Handeln steht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Klaus Brandner (SPD): Die Apotheker auch!)

   Wir wollen keine Unternehmenslandschaft, die nur aus hoch subventionierten Ich-AGs und wenigen Großkonzernen besteht. Wir wollen auch eine mittelständisch geprägte Wirtschaft.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir wollen, dass die Hunderttausende von Handwerksbetrieben endlich von ihrer Unsicherheit befreit werden. Deshalb unterbreiten wir heute einen Vorschlag, auf den wir uns alle einigen können.

   Was die Beibehaltung des Meisterbriefs, der in Wahrheit der Doktortitel der beruflichen Praxis ist, anlangt, wollen wir neben der unbestrittenen Gefahrengeneigtheit noch ein zweites Segment hinzufügen. Nach der PISA-Studie der OECD reden wir alle von der Notwendigkeit, auf hohem fachlichen Niveau auszubilden und dieses Niveau zu sichern. Deshalb sollten wir die vorbildliche Ausbildungsleistung des Handwerks - im Handwerk wird dreimal so viel ausgebildet wie im Rest der deutschen Wirtschaft - auch anerkennen. Wir schlagen deshalb ganz konkret vor: Ein Handwerkszweig, der mehr als 50 Prozent der Gesamtwirtschaft ausbildet, soll diese fachlich hoch stehende Ausbildung weiterhin durch den Meisterbrief legitimieren. Das wäre ein gutes Kriterium. Wir entbinden damit 50 Prozent vom Meisterbrief als Ausbildungsvoraussetzung. Gleichzeitig sichern wir aber das hohe fachliche Niveau. Wir erkennen gesellschaftlich an, was auf diesem Gebiet geleistet wird. Dieses Konzept ist eine tragfähige Brücke, über die alle gehen können. Ich hoffe sehr, dass Sie bereit sind, im Vermittlungsausschuss diesen Weg zu gehen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   An die Adresse der Union sage ich, dass ein weiteres Aufsatteln von Kriterien wie Verbraucher- oder Umweltschutzbelangen kontraproduktiv ist. Wir setzen auf den mündigen Verbraucher und die Rahmenregelungen. Es ist ein guter Weg, die Ausbildungsleistung des Handwerks anzuerkennen.

   Herr Schartau, in Nordrhein-Westfalen sind die Genossen zu Hause offenbar vernünftiger - dort fordern sie exakt das Gleiche -, als wenn sie in Berlin herumturnen. Bewegen Sie sich zugunsten einer guten Lösung, damit wir auf diesem Gebiet endlich Klarheit schaffen können!

   Daneben wollen wir vieles verändern. Wir wollen das Inhaberprinzip abschaffen. Wir wollen eine Altgesellenregelung. Wenn jemand sieben Jahre Berufspraxis hat und auf seinem Berufsweg die betriebliche Qualifikation erlangt hat, quasi durch seinen Lebenslauf, sollte man ihm eine Chance geben.

(Klaus Brandner (SPD): Passen Sie gut auf!)

Wir wollen das öffnen. Wir schlagen vor, dass jemand, der sich selbstständig machen will, auf das Meister-BAföG verzichten kann, um sich eine Existenz aufzubauen. Gehen Sie diesen Weg. Wir haben nicht das Problem, dass es zu wenig Meister gäbe. Es gibt 130 000 ausgebildete Meister, die nicht in die Selbstständigkeit gehen, weil die Rahmenbedingungen dafür nicht stimmen. Das sind die Probleme. Sie betreiben doch ein Ablenkungsmanöver von Ihrer miesen Politik.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie schieben das Handwerk vor, prügeln darauf ein, weil Sie nicht die Kraft haben, das Richtige zu entscheiden. Hier brauchen wir mehr Bewegung.

   Ich möchte mit einem Bild schließen. Die Zeiten sind stürmisch. Wir befinden uns angesichts der gewaltigen Veränderungen sozusagen mitten in einem Gezeitenwechsel, mitten in Stromschnellen. Aber Sie mit dem Bundeskanzler an der Spitze der Regierung erwecken die Illusion, Sie könnten mit Pfahlbauten ohne Fundament, grün-rot angestrichen, die Schwierigkeiten meistern, also die Probleme lösen. Nein, wir brauchen eine feste Brücke mit festen Fundamenten, die langfristig trägt, und kein Kartenhaus. Die potemkinschen Dörfer, die Sie aufbauen werden bei einer Flut weggespült.

   Damit das Ansehen deutscher Politik nicht weiter schwindet, wird es höchste Zeit, dass wir tragfähige Lösungen finden. Wir müssen vernünftige Vorhaben auf den Weg bringen. Nur so wird Politik Akzeptanz finden und nicht, indem wir über die einzelnen Haushaltstitel streiten, Herr Kröning. Denn das führt dazu, dass die Bürger abschalten. Wir möchten aber, dass sie einschalten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Volker Kröning (SPD): Das Parlament ist kein Kabarett!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Fritz Kuhn, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Merz, in Ihrer Rede gab es eine Stelle, die ich perfide fand.

(Zuruf von der SPD: Eine?)

Darauf will ich am Anfang meiner Rede kurz eingehen.

   Sie haben von diesem Platz aus in Bezug auf das Problem der fehlenden Lehrstellen - versteckt hinter einem Leserbrief - das allgemeine Vorurteil bedient, die Schuld hätten im Großen und Ganzen die jungen Menschen, die nicht lesen und rechnen könnten. Das ist eine pauschale Diskriminierung derjenigen jungen Menschen, die eine Lehrstelle suchen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Widerspruch bei der CDU/CSU)

Sie haben gesagt, dass Sie nicht generalisieren wollen. Dadurch, dass Sie diesen Leserbrief verlesen haben, haben Sie auf eine Art und Weise generalisiert, die ich nicht akzeptieren kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Sie haben nicht zugehört! - Gegenruf von der SPD: Doch!)

Wir müssen natürlich in unserem Bildungssystem etwas tun. Sie haben aber nicht gesagt, was mit den Jugendlichen geschehen soll, die in diesen Tagen noch keine Lehrstelle haben. Sie mahnen immer nur, so gehe es nicht. Das ist Ihr Credo. Sie machen aber keinen präzisen Vorschlag, was geschehen soll.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Stimmt doch überhaupt nicht! Lügen Sie doch nicht!)

Dabei gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder schafft die Wirtschaft bis März nächsten Jahres die Lehrstellen, die noch fehlen, oder wir werden eine klug ausgestaltete Abgabe einführen. Dabei schwebt uns eine Stiftungslösung vor; das haben wir ja vorgeschlagen.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Lesen Sie die Anträge durch!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Kuhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja, Herr Schauerte, bitte.

Hartmut Schauerte (CDU/CSU):

Herr Kollege Kuhn, Sie haben gerade gefordert, dass wir Ihnen sagen sollen, wie man zusätzliche Lehrstellen schaffen kann. Es gibt einen ganz zentralen Ansatz. Wir diskutieren ja, wie Sie wissen, über die Reform der Handwerksordnung. Lassen Sie die Handwerker, die heute überproportional ausbilden, im Anhang A zur Handwerksordnung. Schaffen Sie einen solchen Anreiz, werden Sie eine hohe Ausbildungsbereitschaft vorfinden. Wenn Sie sie aber alle aus dem Anhang A herausnehmen wollen - wie Sie das vorhaben -, dann wird die Ausbildungsbereitschaft dramatisch abnehmen. Über diese Sorgen müssen wir miteinander reden. Öffnen Sie sich einem solchen modernen Ansatz!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Lieber Herr Schauerte, wir haben uns über dieses Thema schon einmal auseinander gesetzt. Ich glaube, dass Sie mit dem Versuch, den Sie unternehmen, die notwendige Deregulierung beim Handwerk - die heutige Handwerksordnung ist aus ökonomischer Sicht nichts anderes als eine Zugangsbeschränkung zur Berufsausbildung - verhindern. Über alle vernünftigen Vorschläge zur Ausbildung können und werden wir in der Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses reden. Das ist doch logisch. Aber machen Sie es nicht so billig, mit der Methode der Ausweitung - Frau Merkel will auch noch den Umweltschutz in die Verhandlungsmasse aufnehmen - die ganze Reform zu verhindern. Das ist Ihr Ziel, wenn ich das richtig verstehe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Wir müssen in der Debatte über folgende einfache Frage reden: Wie kann man den Aufschwung, der sich abzeichnet, durch unsere Politik in Deutschland und durch die Entscheidungen im Vermittlungsausschuss verstärken? Was muss geschehen, damit dies geschieht? Die „Financial Times“ hat gestern getitelt, Deutschland setze zum Aufschwung an. Sie alle kennen die Parameter. Einen großen Teil verdanken wir dem Export. Unsere Aufgabe ist es nun, alles zu tun, damit im Binnenmarkt Belebung entsteht.

   Deswegen fordere ich Sie von der Union noch einmal ganz klar auf: Sie müssen dem Vorziehen der Steuerreformstufe 2005 zustimmen, weil erstens der Konsum dadurch belebt werden kann und weil es sich zweitens um die Steuerreform für die Personengesellschaften handelt, die Sie seit langem angemahnt haben.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie haben beklagt, dass die körperschaftsteuerpflichtigen Betriebe zuerst entlastet wurden. Stehen Sie jetzt, da es um die Handwerksbetriebe und die kleinen und mittelständischen Betriebe geht, nicht auf der Bremse!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Frau Merkel, wenn Sie etwas für das Weihnachtsgeschäft tun wollen, dann müssen Sie jetzt und nicht erst am 10. Dezember 2003 oder sonst irgendwann ein Signal für das Vorziehen setzen. Gehen Sie herunter von der Bremse und tun Sie hier das Notwendige für die Konjunktur!

(Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Wir sollen Ihren Unfug absegnen? - Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Sie als Weihnachtsmann!)

   Herr Merz, wir müssen die Agenda 2010 konsequent umsetzen. Ich habe in Ihrer Rede kein konkretes Signal gehört. Sie haben keinen der in der Union vorhandenen Widersprüche aufgelöst und keinen konkreten Vorschlag in Richtung der Koalition gemacht. Ich kann Ihnen nur sagen: Es ist kein Patriotismus, wenn man dem Aufschwung nicht hilft, sondern auf der Bremse steht, wenn es um Aufschwung geht. Wir haben gestern ja eine Debatte darüber geführt, was der richtige Patriotismus ist.

   Der größte gemeinsame Nenner bei der Union ist bisher doch nur Ihre Vereinigung bei der Suche nach der Antwort auf die Frage, welche Vorschläge von Ihnen der SPD am meisten wehtun. Ihre konkrete Linie nennen Sie aber nicht. Ich will Ihnen einige Beispiele dafür nennen.

   Erstes Beispiel. Seit Monaten sagen Sie ständig, die Gemeinden sollten entlastet werden. Sie stehen aber auf der Bremse, wenn es darum geht, den Gemeinden mit einer kommunalen Finanzreform jetzt zu helfen, damit sie 5 Milliarden Euro mehr erhalten; das steht in der Diskussion. Hier stellt sich die Frage, ob Sie blockieren oder mitmachen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das schadet doch mehr, als dass es nutzt!)

   Zweites Beispiel. Sie kritisieren den Haushalt 2004, der jetzt verabschiedet wird, und sagen, es werde zu wenig gespart. Sie wollen noch 6 Milliarden Euro mehr sparen - siehe Europäische Kommission -, machen aber keine konkreten Vorschläge, wie dies geschehen soll, und lehnen alle Einsparungen und Subventionskürzungen der Regierung pauschal ab. Soll das, was Sie hier betreiben, Politik sein oder ist das Verweigerung?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Dietrich Austermann (CDU/CSU): Wer gewährt denn neue Subventionen? Das ist doch gelogen!)

   Herr Merz, Sie machen Vorschläge für Steuersenkungen und sind damit sehr populär. Sie vergessen aber, dass die Vorschläge, die Sie in der Sozialpolitik - Stichwort: Herzog-Kommission - etwa bei der Kopfpauschale machen, einfach nicht finanziert werden können. Die Deckungslücken betragen 20 bis 30 Milliarden Euro. Das sind wirklich sehr komfortable Vorschläge für Steuersenkungen. Wir können auch welche machen, wenn Sie uns gestatten, mit solchen Deckungslücken zu operieren.

(Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Das haben Sie ja seit 1983 15 Jahre lang getan!)

   Drittes Beispiel. Sie betreiben eine gefährliche Politik im Rentenbereich. Dass es bei den Renten im nächsten Jahr zu einer Nullrunde kommen wird, lehnen Sie ab.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Nullrunde? Sie sinken!)

Sie sagen der Bevölkerung aber nicht laut und deutlich dazu, dass als Alternative die Rentenversicherungsbeiträge und die Lohnkosten steigen würden und die Arbeitslosen somit noch weniger Chancen hätten, in der Bundesrepublik Deutschland einen neuen Job zu bekommen. Das ist eine einfache Politik: Sie sagen, was Sie ablehnen, aber nicht, was Sie stattdessen machen würden. Ich kann Ihnen nur sagen: Mit einer solch unkonstruktiven Politik können Sie keine Arbeitsplätze schaffen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Dietrich Austermann (CDU/CSU): Sie kürzen die Renten jedes Jahr! - Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Sie haben die Wirtschaft fünf Jahre lang ganz massiv in den Graben gefahren!)

   Herr Merz, ich komme zur Zumutbarkeit der Minijobs gemäß dem Hartz-Paket, die Sie kritisieren. Sie sagen ganz elegant, was nicht geht, machen aber keinen konkreten Vorschlag dafür, wie man verhindern kann, dass jemand, dem ein 400-Euro-Job zugemutet wird, 30 oder 35 Stunden pro Woche dafür arbeiten soll. Dies muss doch verhindert werden. Hier liegt der Ursprung für die Änderungen, die wir durchgeführt haben. Sie wissen es doch: Wenn wir es nicht verhindern können, dann wird es einen flächendeckenden Niedriglohnsektor geben. Sagen Sie, dass Sie das wollen. Herr Koch sagt mit seinem Modell, das er aus Amerika abgekupfert hat, dass er das will.

   Hier besteht eine politische Differenz. Wir halten einen breiten Niedriglohnsektor für falsch. Wir wollen die Brücken in die Erwerbsarbeit gangbarer machen. Deswegen haben wir die Möglichkeiten dafür verstärkt, dass Menschen zusätzliche Mittel erhalten, wenn sie einen Job aufnehmen. Hierhinter stecken unterschiedliche Philosophien.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Dietrich Austermann (CDU/CSU): Wir sitzen doch nicht im Kreistag! Was soll das Gerede hier!)

Sagen Sie den vielen Millionen Beschäftigten doch wenigstens, dass Sie einen Niedriglohnsektor wollen, und sagen Sie dann auch dazu, welche Auswirkungen dies auf die Löhne hätte. Dann kann man ganz konkret darüber reden, was die bessere Alternative ist.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Wollen Sie sie lieber in der Arbeitslosigkeit haben?)

   Sie schlagen gemeinsam mit Herrn Koch vor, dass die Gemeinden 1,5 Millionen Arbeitsplätze schaffen, in die die Bezieher des Arbeitslosengeldes II zwangsweise vermittelt werden.

Die Gemeinden hingegen haben erklärt, dass sie dies weder können noch wollen, weil diese Maßnahmen zulasten des Handwerks vor Ort gehen würden. Das ist logisch und kann auch nicht anders sein. Sie operieren mit einem Konzept, das niemand will, und verkaufen es noch als kommunalfreundlich. Das ist Blindfliegerpolitik, liebe Frau Merkel, und hat nichts mit der Lösung der konkreten Probleme in der Bundesrepublik Deutschland zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Sie müssen bis zum 10. Dezember konkreter werden, Frau Merkel. Gestern haben Sie sich nicht klar geäußert. Sie haben nicht gesagt, was Sie machen wollen. Sie haben allgemein über Patriotismus philosophiert, aber keine konkreten Vorschläge gemacht.

(Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Sagen Sie doch lieber, was Sie machen!)

   Wir müssen in Deutschland Folgendes machen: Wir müssen im Sozialstaat mehr Flexibilität mit der Sicherheit, die die Menschen brauchen, verbinden.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das ist Blabla!)

Auf diese Suche begeben wir uns. Ich glaube, dass mit den Hartz-Gesetzen gute Vorschläge auf dem Tisch liegen.

   Wir müssen die Lohnnebenkosten stabil halten bzw. weiter senken.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Weiter senken?)

Wer es angesichts größter Arbeitslosigkeit und der aktuellen großen Wirtschaftskrise schafft, dass die Rentenversicherungsbeiträge nicht steigen, der hat für den Aufschwung viel mehr als diejenigen getan, die immer nur alles ablehnen. Das müssen Sie uns einmal nachmachen. Wenn Sie sich die Geschichte der Lohnnebenkosten in Deutschland anschauen, werden Sie feststellen, dass diese in Wirtschaftskrisen unter Ihrer Führung immer gestiegen sind. Wir haben den ersten Schritt getan, damit mehr investiert wird.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Wo denn?)

Sie haben populistisch im Interesse der Rentnerinnen und Rentner argumentiert, dass dies nicht möglich sei.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wir reagieren auf die demographische Entwicklung. Wir bauen die Bürokratie ab. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf verweisen: Bei der Handwerksordnung wird und muss etwas passieren; denn man kann nicht von Entbürokratisierung in Deutschland reden und die Handwerksordnung dabei außer Acht lassen. Das funktioniert nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich will einige Punkte ansprechen, mit denen ich noch nicht zufrieden bin.

(Dirk Niebel (FDP): Steinkohle!)

- Das Thema Kohle können wir sofort abhandeln. Dass wir bei diesem Thema anderer Meinung als unser Koalitionspartner sind, ist offensichtlich.

(Dirk Niebel (FDP): Aha!)

Wir schätzen die Notwendigkeit der Kohleversorgung in Deutschland langfristig anders als unser Koalitionspartner ein. Durch die Haushaltssperre bei den Verpflichtungsermächtigungen haben wir klar gemacht, wohin die Reise geht. Hier sind bestimmte Fragen noch zu klären. Das werden wir im Ausschuss zusammen beraten. Aber was wir nicht machen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ist,

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Zustimmen!)

einem reinen Schauantrag, wie Sie ihn gestellt haben, zuzustimmen.

(Lachen bei der FDP)

Sie können sich also der Ablehnung meiner Fraktion sicher sein.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dietrich Austermann (CDU/CSU): Mehr CO2!)

   Ich will vier Punkte nennen, bei denen wir von der Regierung den Druck erhöhen müssen.

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Kuhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thiele?

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein, das ist nicht nötig. Ich möchte jetzt meine Ausführungen fortsetzen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Ein ganzer Kerl! - Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Feige! - Zurufe von der FDP: Oh!)

   Erster Punkt. Die Bildungsreform in Deutschland geht auch aus wirtschaftlichen Gründen nach Auffassung meiner Fraktion viel zu langsam voran. Wenn wir ernsthaft darüber reden, wie man am Standort Deutschland mehr Qualität im Sinne von Innovationen schaffen kann,

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Dann müssen die Grünen aus der Regierung!)

dann ist die Reform auf allen Stufen der Bildung, von der Vorschule bis zur Weiterbildung, das A und O. Die ganzen Konsequenzen aus der PISA-Studie dauern aus wirtschaftlichen Gründen - ich betrachte das Ganze nur unter diesem Aspekt - vor dem Hintergrund von Bildungsplänen der Kultusministerkonferenz viel zu lange.

   Wer weiß, dass im Jahr 2010 die geburtenstarken Jahrgänge nach und nach in Rente gehen werden, wer weiß, welches Qualifikationsproblem wir dann in Deutschland haben werden, der muss wirklich konsequent auf allen Ebenen der Bildung den Turbo einschalten, um Qualifikation, Weiterbildung und die schulische Erstausbildung unserer Kinder zu verbessern. Wirtschaftliche Entwicklung mit mittelfristiger Perspektive ist nur möglich, wenn wir Bildungsreformen anpacken. Wenn wir sie nicht machen, sondern die Probleme aussitzen, wird es ein böses Erwachen geben.

Zweiter Punkt. Wir brauchen ein klares Signal in der Finanz- und Steuerpolitik. Ich bin froh, dass die Finanzpolitik kohärenter wird. Unser Ziel ist, sie systematisch zu gestalten und die Bürger zu entlasten. Dies ist auch hinsichtlich der Steuersätze eine wichtige Botschaft. Wir diskutieren über denselben Punkt. Denn es zeichnet sich ein Konsens ab, dass ein einfaches Steuersystem auch ein gerechteres Steuersystem ist. Das ist doch eine richtige Erkenntnis, die wir in die Diskussion der nächsten Wochen und Monate einbringen müssen.

   In der Finanzpolitik wird auch klar, dass wir eine antizyklische Konsolidierungspolitik betreiben müssen. Wenn die wirtschaftliche Lage schlecht ist, muss man andere Beträge für die Tilgung der Schulden aufbringen, als wenn sie besser ist. Die große Stunde der Wahrheit für die Koalition und für Sie kommt dann, wenn die Wirtschaft wieder wächst. Dann stellt sich die Frage, ob man bereit ist, Schulden in größerem Umfang zu tilgen und den Haushalt zu konsolidieren, als es in einer Zeit möglich ist, in der sich die Wirtschaft in der Talsohle befindet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Der dritte Punkt. Die Entbürokratisierung geht uns zu langsam. Der Masterplan des Wirtschaftsministeriums ist okay, aber an den Schnittstellen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden durch eine konkrete Aufgabenkritik klar zu machen, was wir konsequent lassen können und wo sich der Staat zurückziehen kann, damit es weniger Bürokratie gibt, ist eine Aufgabe, die mit mehr Druck und mehr Konsequenz angegangen werden muss, als dies gegenwärtig der Fall ist. Ich sage das ganz offen. Wir sagen nicht, dass alles immer prima sei. Die kleinen und mittleren Betriebe, die bei uns neue Arbeitsplätze schaffen - da spielt in wirtschaftlicher Hinsicht die Musik - leiden am meisten unter der Bürokratie, weil sie Kosten verursacht, weil der Umgang mit ihr frustrierend ist und weil sie die Entwicklung der Betriebe hemmt. Deswegen möchte ich dazu auffordern, dass mehr in Richtung Bürokratieabbau geschieht.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Wer ist denn an der Regierung? - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Die meisten leiden unter euch!)

   Der vierte Punkt betrifft die Banken. Die heutige Krise der Finanzierung vor allem kleinerer und mittlerer Betriebe ist zuvorderst eine Bankenkrise, weil die Banken, anders als vor zwei oder drei Jahren, nicht mehr bereit oder in der Lage sind, die Kredite zu geben, die notwendig sind, um das Eigenkapital zu verstärken bzw. überhaupt einen Betrieb zu gründen. Deswegen sage ich ganz deutlich: Es ist positiv, dass die Regierung über die KfW einen neuen Dachfonds für innovative Finanzierung aufgelegt hat. Es ist aber auch notwendig, dass wir den Kreditinstituten, in denen wir Einflussmöglichkeiten haben - hier sind viele Kommunalpolitiker, die in Aufsichtsgremien der Sparkassen sitzen -, sagen, dass sie die Bremse lösen und die Wirtschaft durch Kredite fördern müssen. Herr Minister Clement, ich bin gespannt, welche Vorschläge Sie in den nächsten Wochen und Monaten vorlegen, um die Finanzierungskrise des Mittelstandes und der Kleinbetriebe zu mildern. Die Politik kann die Probleme nicht alleine lösen, aber sie kann helfen und Programme auflegen, mit denen diese Probleme insgesamt reduziert werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich komme zum Schluss. Ich habe einen Appell an die Union. Sie haben zwei verschiedene Möglichkeiten. Sie können darauf setzen, die Regierung in den Verhandlungen im Vermittlungsausschuss vorzuführen. Ich glaube nicht, dass Ihnen das gelingen wird. Oder Sie können im merkelschen Sinne des Patriotismus alles dafür tun, dass der Aufschwung in Deutschland verstärkt wird.

(Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Wir haben doch keinen Aufschwung!)

Das ist die Pflicht und die Aufgabe auch der Opposition. Hören Sie dann aber auf, in jeder Rede, wie es Herr Merz vorhin getan hat, zu sagen, in Deutschland sei alles Mist! Wenn man Sie, Herr Merz, im Fernsehen hört, dann hat man den Eindruck, an diesem Standort könne man überhaupt nicht mehr investieren.

(Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Nein, das gilt nur für die Regierung!)

Abgeordnete des Bundesparlaments sollten nicht so über Deutschland reden, wie Sie es tun. Hören Sie auf, Herr Merz, die Arbeitslosen in Geiselhaft für Ihre strategischen und taktischen Spielchen zu nehmen!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Tragen Sie vielmehr dazu bei, dass der Aufschwung verstärkt wird! Dann haben Sie Ihren Job gut gemacht.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Dietrich Austermann (CDU/CSU): Dürftig! Noch schlechter, als ich gedacht habe!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Dagmar Wöhrl, CDU/CSU-Fraktion.

Dagmar Wöhrl (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer den Kollegen Kuhn gehört hat, hat fast das Gefühl, Herr Kuhn ist nicht in der Regierung, sondern in der Opposition.

(Rainer Brüderle (FDP): Er will Außenminister werden!)

   Herr Kuhn, wenn ich Ihre Aussagen höre, dann kommen Sie mir vor wie der kleine Fritz, der die Wirtschaftspolitik erklärt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): So stellt er sie sich auch vor!)

Sie gehören einer Regierung an, die par ordre du mufti erklärt hat, Subventionen in Höhe von 16 Milliarden Euro zu gewähren. Das geschah so nebenbei in einer Rede, und das noch für einen Sektor, der keine Zukunft hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Damit haben Sie jede Glaubwürdigkeit verloren, überhaupt noch über Subventionsabbau zu reden.

   Noch nie war eine Reform der Reformfähigkeit so notwendig wie jetzt. Noch nie wurden so viele negative Botschaften über die deutsche Wirtschaftspolitik, die Sozialpolitik und über die Finanzpolitik wie in den letzten Tagen, ja sogar in den letzten Stunden verkündet.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt doch gar nicht! Wo denn?)

   Ich möchte mich mit nur zwei Themen befassen: Stabilitätspakt und Ausbildungsplatzabgabe. Wir, die Deutschen, waren doch diejenigen, die mit Vehemenz und Kraft für diesen Pakt gekämpft haben. Er wird mittlerweile von Ihnen mit Füßen getreten. Herr Eichel hat dieses Kernstück europäischer Wirtschaftsverfassung mit dem Segen des Kanzlers Schröder zu Grabe getragen.

   Ich warne davor, die Tragweite der entsprechenden Brüsseler Beschlüsse zu unterschätzen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass vielen die Tragweite dieser Brüsseler Beschlüsse nicht kla geworden ist. Dabei geht es nicht bloß um Finanzpolitik, sondern auch um eine zentrale Grundlage der Wirtschaftspolitik. Wir brauchen ein stabiles Preisniveau, um mehr Wachstum und mehr Beschäftigung zu erreichen. Momentan sinkt die Zahl der Beschäftigten jeden Monat um 50 000. Das ist eine Katastrophe.

   Eine Währungsunion lebt von dem Vertrauen darauf, dass sich die teilnehmenden Länder untereinander einigermaßen vernünftig verhalten. Was wird daraus in der Zukunft? In Zukunft wird doch jedes Land je nach Lust und Laune eine Verschuldungspolitik machen. Wen werden in Zukunft noch Strukturreformen interessieren? Wir werden die Quittung für die Fehler von heute nicht morgen, auch nicht übermorgen bekommen; aber wir werden sie langfristig bekommen, nämlich in Form einer höheren Inflation und höherer Zinsen.

(Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Leider wahr!)

   Was passiert, wenn die Staatsdefizite mehrerer Länder zukünftig aus dem Ruder geraten? Die EZB wird die Zinsen erhöhen. Ich bin gespannt, ob dann der Kanzler auch bei der EZB Druck hinsichtlich der Erhöhung der Zinsen ausüben wird. Die „FAZ“ hat zu Recht gesagt:

Wo ein Stabilitätswille fehlt, ist auf kurz oder lang die Unabhängigkeit der Notenbank in Gefahr.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Was bedeuten höhere Zinsen? Sie führen zu weniger Investitionen. Weniger Investitionen führen wiederum zu weniger Arbeitsplätzen. Das ist doch ein Teufelskreis.

   Herr Clement, ich wundere mich darüber, wie Sie sich in dieser Sache verhalten haben. Warum haben Sie hierbei nicht interveniert? Sie haben beim Euro-Stabilitätspakt, also an einer wirtschaftspolitisch wirklich zentralen Stelle, versagt, weil Sie nicht aufgestanden sind und nicht gesagt haben: Hier werden langfristige wirtschaftliche Chancen vertan; tut das nicht!

   Bei der Ausbildungsplatzabgabe konnten Sie sich ebenfalls nicht durchsetzen. Es ist genau das eingetreten, was Herr Müntefering vorgegeben hat. Herr Müntefering, Sie haben gefordert: Weniger für den privaten Konsum, mehr für den Staat. Ist das der richtige Kurs? Nein, dieser Kurs ist falsch.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sie vernichten mit dieser Maßnahme die Ausbildungschancen sehr vieler junger Menschen.

   Ich sage Ihnen aber auch: Die momentane Lehrstellensituation ist zwar bedauerlich, aber die Situation an einer anderen Stelle, am Arbeitsmarkt, ist viel schlimmer. Was nützt einem Jugendlichen eine gute Ausbildung, wenn er danach keinen Arbeitsplatz findet? Momentan ist eine halbe Million junger Menschen unter 25 Jahren in Deutschland arbeitslos. Davon sind 300 000 gut ausgebildet. Trotzdem finden sie keinen Arbeitsplatz. Deswegen brauchen wir in diesem Bereich eine Kurskorrektur.

   Die erste Aufgabe muss sein, mehr Vertrauen bei den Konsumenten und bei den Investoren zu gewinnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die Investitionsausgaben sind im dritten Quartal dieses Jahres so drastisch eingebrochen, wie es das letzte Mal in der Rezession 1993 der Fall war. Es stimmt, dass der Export zunimmt. Das ist auch gut so. Man darf aber auch nicht vergessen, dass der Export nur ein Drittel unserer Wirtschaftsleistung ausmacht. Er macht nicht die ganze Wirtschaftsleistung aus! Deswegen gebe ich Ihnen nur den Rat: Lesen Sie die Ihnen vorliegenden Gutachten vom Sachverständigenrat und von den Instituten! Dort können Sie lesen, was der Grund für unsere Wirtschaftskrise ist: Ihre Politik, die Sie auch noch Wirtschaftspolitik nennen. Sie ist eine reine Katastrophe und bringt uns immer mehr zurück, anstatt uns nach vorne zu bringen.

   Wir brauchen eine Trendwende. Denken Sie an die Maxime von Ludwig Erhard: Die beste Sozialpolitik nützt nichts, wenn sich nicht Wirtschafts- und Sozialordnung gegenseitig ergänzen. Sozialordnung, Markt und Wirtschaft sind die Räder, die ineinander greifen müssen. Das ist bei Ihrer Politik aber nicht der Fall; durch Sie blockieren sich die Räder gegenseitig.

   Die Schere zwischen Sozialleistungen und Investitionen öffnet sich immer weiter. Anfang der 70er-Jahre floss noch ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts jeweils in das soziale Netz und in die Investitionen. Gegenwärtig beläuft sich die Investitionsquote auf unter 10 Prozent, während mehr als 32 Prozent der Wirtschaftsleistung für den sozialen Bereich aufgebracht werden. Das ist ein Missverhältnis; die Schere muss sich wieder schließen.

   Unsere Sozialbeiträge steigen stetig an, Herr Kuhn. Ein Ende des Anstiegs ist nicht in Sicht. Sie schaffen es nicht, Reformen auf den Weg zu bringen, die eine Abkehr von dieser steigenden Tendenz ermöglichen. Die sozialen Belastungen belaufen sich inzwischen auf mehr als 41 Prozent. Die Menschen haben immer weniger Geld in der Tasche.

   Die Tatsache, dass die Schwarzarbeit um weitere 3,5 Prozent zugenommen hat - sie beträgt inzwischen mehr als 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts -, zeigt, dass zwar Arbeit vorhanden ist, aber nicht zu bezahlbaren Preisen. Das sind Fakten, vor denen man nicht die Augen verschließen darf.

   Der Mittelstand steht inzwischen mit dem Rücken zur Wand und weiß nicht mehr, wie er über die Runden kommen soll. Den Betrieben fehlen Aufträge. Die riesige Pleitewelle spricht für sich. Angesichts der Tatsache, dass inzwischen ein Drittel der mittelständischen Unternehmen keinen Gewinn mehr erwirtschaften, muss man sich wundern, woher sie die Kraft nehmen, weiterzuarbeiten.

   Aus der neusten Ausgabe der „Wirtschaftswoche“ geht hervor, dass die KfW ihre Mittelstandsförderung drastisch zurückfahren will;

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Hört! Hört!)

sie hat offenbar kein Eigenkapital mehr, weil Herr Eichel im Rahmen von Platzhaltergeschäften durch den Verkauf von Aktien der Telekom und der Deutschen Post mehr als 20 Milliarden Euro aus der KfW herausgezogen hat. In diesem Zusammenhang frage ich Sie, Herr Clement: Wo bleibt Ihr Aufschrei? In welcher Form intervenieren Sie dagegen?

(Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der SPD: Da habt ihr wieder nicht zugehört!)

   Ich appelliere an Sie mit einem Zitat von Lincoln, der die richtigen Worte gefunden hat:

Ihr werdet die Schwachen nicht stärken, indem ihr die Starken schwächt. Ihr werdet Schwierigkeiten bekommen, wenn ihr mehr ausgebt, als ihr verdient. Ihr werdet den Menschen nie auf Dauer helfen, wenn ihr für sie tut, was sie selbst für sich tun könnten.

Hängen Sie sich dieses Zitat über Ihr Bett und schauen Sie es sich morgens und abends an!

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das entscheiden wir selber, was wir dort sehen wollen!)

Das ist die Richtschnur, nach der die Politik gestaltet werden muss.

   Was aber machen Sie? Auf Ihrem Parteitag ist mit der Diskussion um die Erbschaftsteuer wieder das Neidfeuer eröffnet worden, Trittin will zudem die Vermögensteuer reanimieren. Sie vergessen immer wieder eines: Wie wird denn Vermögen geschaffen? Vom Aufbau eines Vermögens profitieren viele. Wer Vermögen schafft, zahlt Steuern. Ein Unternehmen leistet aber auch noch einen weiteren Beitrag: Es schafft Arbeitsplätze. Dass Vermögen nur mithilfe eines bereits versteuerten Einkommens aufgebaut werden kann, scheinen Sie auch immer wieder zu vergessen. Sie versuchen, die Leistungsstarken ausbluten zu lassen und eine DDR de luxe zu schaffen. Das ist aber keine Lösung.

   Gerade für die Erbschaftsteuer gilt: Wenn wir Substanz verteilen, dann verlieren wir alle. Wir wissen, wie es um die mittelständischen Betriebe steht. Sie haben fast kein Eigenkapital mehr. Die Eigenkapitaldecke ist viel zu dünn. Wenn eine Erbschaftsteuer nicht aus den Erträgen aufgebracht werden kann, hat das weitere Betriebsaufgaben und einen weiteren Rückgang der Zahl der Arbeitsplätze zur Folge.

   Hier müssen wir andere Wege beschreiten. Die Betriebsübergaben müssen endlich erleichtert werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Statt die Erbschaftsteuer zu erhöhen, müssen wir dazu übergehen, die Erbschaftsteuer zu stunden, wenn ein Erbe die Firma seines Vaters oder seiner Mutter übernimmt, und sie nach zehn Jahren vollständig zu erlassen. Denn er hat in diesem Zeitraum mehr für die Volkswirtschaft getan, als wenn er einmalig Erbschaftsteuer gezahlt hätte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Es ist an der Zeit, dass die Belastungen nach unten gehen, anstatt mit Neidsteuern unternehmerische Initiative im Keim zu ersticken. Wir brauchen die unternehmerische Initiative; sie ist das Fundament unserer Volkswirtschaft, auf dem Arbeits- und Ausbildungsplätze geschaffen werden. Wir brauchen einen leistungsstarken Mittelstand. Wir brauchen Investitionslust und Konsumlust, die sich aber nicht stärken lassen, indem Sie den Bürgern immer tiefer in die Taschen greifen.

(Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Das haben die so im Griff! - Ludwig Stiegler (SPD): Schauen Sie doch mal Ihre Steuer- und Abgabenlast an und vergleichen Sie sie mit heute! Kommen Sie mal darauf zurück, wie es 1998 war!)

   Meine Damen und Herren, vor vielen Jahren hat die Union einen Wahlkampf mit dem Slogan „Freiheit oder Sozialismus“ geführt. Zu Beginn dieses Jahrhunderts stehen wir erneut vor dieser Grundsatzentscheidung:

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wollen wir mehr Markt oder mehr Staat? Ich sage: Wir brauchen mehr Markt. Wir sollten uns auf unsere soziale Marktwirtschaft zurückbesinnen und neu starten.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Bundesminister Wolfgang Clement das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, wir alle wissen, dass wir diese Tage und Wochen bis zum Jahresende nutzen müssen, weil sie eine große Bedeutung für die Zukunft unseres Landes haben. Wir müssen in Deutschland beweisen, dass wir zu Reformen fähig sind. Wir werden dazu Besitzstandswahrung und die Neigung zum Kirchtumsdenken überwinden müssen,

(Zustimmung bei der FDP)

aber auch die Neigung zu Besserwisserei, Herr Kollege Merz.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dirk Niebel (FDP): Das ist wohl eine Rede an die eigenen Leute?)

Davon, dass uns dies gelingt, hängt sehr viel ab.

   Wir müssen ein Paket aus Strukturreformen, Wachstumsimpulsen und Maßnahmen zur Haushaltssanierung schnüren und gemeinsam schultern. Ich bin davon überzeugt, dass wir es schultern können. Ich bin aber ebenso davon überzeugt, Frau Vorsitzende Merkel, dass es hier eine Pflicht zum Kompromiss gibt.

(Dr. Angela Merkel (CDU/CSU): Nein!)

Diese Pflicht zum Kompromiss gibt es gerade jetzt. Sie schließt ein, dass man sich aufeinander zubewegt.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Nur mit Nachteilen?)

All das, was ich in den letzten Tagen und Stunden dazu gehört habe, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, um beispielsweise eine Steuerreform durchzusetzen - einmal ist es der Arbeitsmarkt, dann ist es der Kündigungsschutz, dann das Tarifvertragsrecht -, ist nicht geeignet, um zu einem Kompromiss zu kommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn ich höre, Herr Kollege Merz, wie Sie und andere Krokodilstränen über das Leid der Europäischen Kommission vergießen und noch ein paar Sparmaßnahmen mehr für Deutschland fordern, wenn Sie gleichzeitig mehr Gegenfinanzierung für das Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform fordern und im selben Atemzug all das ablehnen, was von der Bundesregierung vorgelegt worden ist, um Steuervergünstigungen, Subventionen und andere Haushaltsbelastungen abzubauen, dann muss ich sagen: Was Sie machen, ist „Ball paradox“.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dietrich Austermann (CDU/CSU): Kohle!)

   Vielleicht ist das alles durch den bevorstehenden CDU-Parteitag und manche Diskussionen erklärbar, die es auch bei Ihnen gibt.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Parteitag ist ein gutes Stichwort!)

Wenn wir aber zu Ergebnissen kommen wollen - wir müssen bis zum 10. Dezember zu Ergebnissen kommen -, dürfen Sie die Möglichkeiten der Regierung und der Koalition nicht unterschätzen. Wenn Sie mit uns zu gemeinsamen Ergebnissen kommen wollen - das ist im Interesse unseres Landes -, dann müssen Sie erkennen, dass Sie mit solchen Diskussionsbeiträgen nicht durchkommen können.

(Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU): Aha! Das sind Kompromisse?)

Wie ist die Lage in Deutschland? Die Wirtschaftsleistung in Deutschland ist im dritten Quartal dieses Jahres wieder leicht um 0,2 Prozent angestiegen. Dies ist vor allen Dingen auf eine deutliche Erhöhung der Exportüberschüsse um 1,8 Prozent zurückzuführen. Die deutschen Exporte sind mit plus 3,2 Prozent gegenüber dem zweiten Quartal geradezu sprunghaft angestiegen. Es spricht jetzt einiges dafür, dass wir die Trendwende schaffen können und dass sich der Erholungsprozess der deutschen Volkswirtschaft im letzten Quartal dieses Jahres fortsetzen kann, um dann in eine wirtschaftliche Belebung überzugehen. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Das Geschäftsklima verbessert sich seit einem halben Jahr Monat für Monat. Die Lagebeurteilung hat sich deutlich verbessert. Der Auftragseingang der Industrie weist einen deutlichen Aufwärtstrend auf.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das hören wir schon seit drei Jahren!)

   Wir dürfen uns aber nicht täuschen. Die Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass das Bruttoinlandsprodukt im ersten und zweiten Quartal rückläufig war. Entgegen den ersten Zahlen und Erwartungen gab es im dritten Quartal keine Verbesserungen beim privaten Konsum und bei den Investitionen. Im Gegenteil: Sowohl Konsum als auch Investitionen sind noch rückläufig. Das gilt insbesondere für die Ausrüstungsinvestitionen.

   Eine weitere Feststellung: Die Defizitausweitung in den letzten drei Jahren war nicht etwa die Folge fehlender Konsolidierungsmaßnahmen, Herr Kollege Merz. Vielmehr ist für jeden, der genau hinschaut, erkennbar, dass die Mindereinnahmen und die Mehrausgaben auf die weltweit schwache Konjunktur zurückzuführen sind. An Ihre Adresse, Frau Wöhrl, die Sie starke Worte gebraucht haben, sage ich deshalb deutlich: Durch die Maßnahmen zur Defizitbekämpfung, die die Europäische Kommission vorgeschlagen hat, wären eindeutig die kurzfristigen gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge in der Europäischen Union, insbesondere in Deutschland, vernachlässigt worden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Maßnahmen - es sind nicht wenige, die das bestätigen - würden, wenn sie umgesetzt worden wären, in sehr starkem Maße prozyklisch wirken. Die Phase der schwachen Binnennachfrage wäre also noch verlängert worden und die wirtschaftliche Erholung wäre noch mehr erschwert worden. Deshalb ist das Konzept, das die Bundesregierung verfolgt und das der Bundesfinanzminister in Brüssel vertreten hat, aus unserer Sicht absolut richtig. Wir wollen die dritte Stufe der Steuerreform - um das ganz klar zu sagen - bei nur teilweiser Gegenfinanzierung vorziehen. Eine Gegenfinanzierung von 75 Prozent wäre falsch; denn das brächte nicht den erforderlichen Wachstumsimpuls, den wir benötigen. Richtig ist stattdessen, auf den Subventionsabbau zu setzen und so zu einer zeitversetzten, mittelfristigen Gegenfinanzierung zu kommen und gleichzeitig die Agenda 2010 durchzusetzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Herr Kollege Merz und Herr Kollege Brüderle, wenn Sie sich die wirtschaftlichen Bewertungen des Internationalen Währungsfonds sowie der Sachverständigen - von Washington über Paris, Brüssel bis Berlin - anschauen, dann stellen Sie fest, dass alle die Richtigkeit unseres Konzeptes bestätigen. Uns werden ständig andere Länder als Vorbild vorgehalten. Schauen Sie sich doch die USA an! Tatsächlich hängen die weltweite Erholung und damit auch unser wirtschaftlicher Aufschwung in sehr starkem Maße von dem Erfolg der USA ab. Aber worauf ist die gegenwärtige Erholung der amerikanischen Wirtschaft zurückzuführen? Es gab eine 13-malige Zinssenkung auf 1 Prozentpunkt, massive Steuerentlastungen und Ausgabenausweitungen, was zu dem höchsten Defizit in den USA seit Jahren geführt hat. Dies erinnert an die Situation von 1992/93. Damals hat das Staatsdefizit in den USA 5,9 Prozent betragen. Wenn man auch nur eine annähernd erfolgreiche Politik wie die USA machen will, dann muss man jetzt die Steuern massiv senken, Herr Kollege Brüderle - ich erwarte, dass uns insbesondere Ihre Fraktion dabei unterstützt -, und zwar ohne komplette Gegenfinanzierung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Frau Merkel, Sie haben einmal behauptet, dass die Politik der Regierung nichts anderes bedeute, als Geld von der linken Tasche in die rechte Tasche zu stecken. Aber Ihre Empfehlung - auch Herr Merz hat das in seiner heutigen Rede vorgeschlagen -, das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform müsse beinahe komplett gegenfinanziert werden, bedeutet nichts anderes und bringt nichts für die Konjunktur. Für ihre Erholung müssen wir die dritte Stufe der Steuerreform vorziehen!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Schauen Sie sich an, was die Institute, der Sachverständigenrat, die Europäische Kommission und der IWF sagen! Verlauf und Stärke der wirtschaftlichen Erholung in Deutschland werden davon beeinflusst, wie konsequent wir die Reformmaßnahmen umsetzen und insbesondere ob und, wenn ja, wie wir die dritte Stufe der Steuerreform vorziehen. Darauf können wir jetzt nicht verzichten. Das Vorziehen der letzten Stufe der Steuerreform stärkt sowohl die Nachfrage- als auch die Angebotsseite. Herr Kollege Merz, lesen Sie einmal nach, was das ZEW gesagt hat. Es sagt voraus - Sie verweisen doch immer gerne auf die Unternehmen -: Die dritte Stufe der Steuerreform reduziert die Steuerbelastung der Unternehmen bei der Beschäftigung von hoch qualifizierten Arbeitskräften um 5 Prozent der durchschnittlichen Steuer- und Abgabenbelastungen und verbessert selbstverständlich die Standortbedingungen der Unternehmen in Deutschland. Das ist jetzt erforderlich: Wir müssen das Vertrauen stabilisieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Merz, Sie waren ja so freundlich, auf einige Dinge hinzuweisen, die ich in letzter Zeit getan habe. Ich möchte darauf eingehen, um das einmal im Zusammenhang darzustellen. Wir haben eine Vielzahl von Strukturreformen auf den Weg gebracht. Dazu gehören selbstverständlich die Steuerreform sowie die grundlegenden Reformen betreffend die Krankenversicherung und die Rentenversicherung, die Sie nur teilweise - zu mehr konnten Sie sich nicht durchringen - unterstützen. Wir haben Arbeitsmarktreformen auf den Weg gebracht, Stichwort: Leih- und Zeitarbeit. Herr Kollege Merz, wollen Sie die Auseinandersetzung zwischen DGB und christlichen Gewerkschaften ernsthaft zum Knackpunkt der Diskussion über Leih- und Zeitarbeit in Deutschland machen? Was Sie da betreiben, ist doch lachhaft.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich empfehle Ihnen, sich einmal mit den Vertretern der Zeitarbeitsunternehmen in Deutschland zu unterhalten. Sie werden Ihnen etwas anderes sagen als das, was Sie hören wollen. Man hat sich in diesen Unternehmen auf die rechtliche Situation, die wir geschaffen haben, längst eingestellt. Lassen Sie uns über die neuen Beschäftigungsmöglichkeiten reden und nicht über den Kleinkram, den Sie erwähnt haben! Über 200 000 Arbeitslose haben in diesem Jahr den Weg in die Selbstständigkeit riskiert, indem sie eine Ich-AG gegründet oder das Brückengeld in Anspruch genommen haben. In Sonntagsreden sind Sie allesamt für diesen Weg.

(Zuruf des Abg. Ernst Hinsken (CDU/CSU))

- Herr Hinsken, Sie wollen ausschließlich für das Handwerk tätig sein. Das verstehe ich. Ich werde Ihnen dazu gleich noch etwas sagen.

   Wer den unternehmerischen Geist in Deutschland wirklich fördern will, der muss dankbar sein, dass es Menschen gibt, die den Mut haben, sich aus der Arbeitslosigkeit heraus selbstständig zu machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Hinsken, ich werde über die Reform des Handwerkrechts gleich noch reden.

   Wir haben der Schwäche des Kreditmarkts entgegengewirkt, indem wir die Gründung der KfW-Mittelstandsbank auf den Weg gebracht haben. Außerdem haben wir einiges getan, um den Bürokratieabbau voranzubringen. Herr Kollege Kuhn, ich bin für jeden geeigneten konkreten Vorschlag zum weiteren Bürokratieabbau - nicht für pauschale Reden; die kenne ich zur Genüge - dankbar. Wir sitzen an der Reform der Arbeitsstättenverordnung und wir haben die Verpflichtungen der Unternehmen zur Erstellung von Statistiken verringert. Die bürokratischen Regelungen im Bereich der Ausbildung haben wir schon vereinfacht. Ich erinnere auch an das, was wir beim Kleinunternehmerförderungsgesetz getan haben.

   Wir haben die Weiterentwicklung der Netze Telekommunikation, Strom und Gas teilweise auf den Weg gebracht. Diese Veränderungen sind voll im Gang. Wir haben neue Strukturen der Energiewirtschaft entwickelt. Wir werden diesen Prozess fortsetzen.

   Herr Kollege Merz, ich habe Sie extra ins Wirtschaftsministerium eingeladen. Ich habe gedacht, Sie hätten dort ein bisschen gelernt. Heute haben Sie alles ignoriert, was Sie von mir dort erfahren haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Verbuchen Sie das unter „Arroganz“; das ist in Ordnung.

   Vollziehen Sie einmal sämtliche dringend notwendigen Reformen in Deutschland, die wir zuwege gebracht haben, nach! Wenn Sie das tun, dann können Sie nicht bestreiten, dass wir das, was notwendig ist, um die Wachstumsdynamik in Deutschland zu stärken und die Beschäftigungsintensität zu erhöhen, ein Stück weit vorangebracht haben.

   Ich habe nie verkündet, dass es irgendwelche Patentrezepte gibt, um den Arbeitsmarkt in Ordnung zu bringen. Sie werden mich nicht los. Sie müssen sich darauf verlassen, dass ich den Prozess der Arbeitsmarktreform mit aller Energie fortsetzen werde.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich will die Diskussionen, die im Vermittlungsausschuss und in den einschlägigen Arbeitsgruppen geführt werden, hier nicht aufgreifen. Sie haben auf all das verwiesen, was Sie tun wollen, um die Bundesanstalt für Arbeit von bestimmten Aufgaben zu entlasten und um den Kommunen diese Aufgaben - sie wollen diese Aufgaben, zum Beispiel die Verantwortung für alle Langzeitarbeitslosen, gar nicht haben, weil sie zu deren Bewältigung gar nicht in der Lage sind - zu übertragen. Das, was Sie vorhaben, finde ich nicht besonders hilfreich. Ich hoffe noch, dass wir in diesem Bereich zu Ergebnissen kommen können.

   Bei dieser Gelegenheit sage ich eines ganz deutlich: Die Kritik, die es an der Bundesanstalt für Arbeit gibt - -

(Volker Kauder (CDU/CSU): Ist berechtigt!)

- Herr Kauder, an der Entstehung und an der Entwicklung der Bundesanstalt für Arbeit waren die CDU, die CSU, die FDP und die SPD maßgeblich beteiligt. Für die Arbeitsweise dieser gigantischen Bürokratie tragen in erster Linie nicht diejenigen die Verantwortung, die dort tätig sind, sondern der Gesetzgeber und diejenigen, die politisch verantwortlich sind.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Wir haben das Büro nicht umgebaut! Wir haben die Spesen nicht erhöht!)

Ich empfehle, diese etwas oberflächliche und selbstgefällige Kritik zurückzunehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Um es hier und heute klar zu sagen: Das gilt auch für den Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit. Das, was man in dieser gewaltigen Einrichtung - es handelt sich um eine Bürokratie, die sich über Jahrzehnte entwickelt hat - nach wenigen Monaten zuwege gebracht hat, um die Arbeitsweise und die Arbeitsmethodik des Hauses umzustellen - man hat versucht, von Administration und von der Finanzierung von Arbeitslosigkeit wegzukommen und die Vermittlung in Arbeit zu verbessern -, finde ich gut. Dieser Weg wird fortgesetzt.

   Ich werde mich demjenigen mit aller Kraft entgegenstellen, der glaubt, die Arbeit dieser Einrichtung aufgrund möglicherweise begangener einzelner Fehler insgesamt diskreditieren zu können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diejenigen, die den Job übernommen haben, diese Einrichtung zu reformieren, haben eine verdammt schwere Aufgabe. Der Kanzler hat völlig Recht: Das ist die härteste Baustelle, die es in Deutschland zurzeit gibt. Ich bin denjenigen, die diesen Job machen, dankbar. Ich empfehle uns im Interesse des großen Ganzen, das, was in der Bundesanstalt für Arbeit geschieht, um ihre etwa 100 000 Beschäftigten auf das neue Ziel - Arbeitslose in Arbeit zu vermitteln - hin auszurichten, nicht zu zerreden. Das gelingt sehr viel besser, als es in manchen Diskussionsbeiträgen und übrigens auch in manchen öffentlichen Bewertungen zu hören ist.

   Wir müssen doch sehen, was in der Kommunikation alles notwendig ist. Wir alle feiern die Unternehmen, die mit Marketingmaßnahmen im Markt Erfolg haben, aber wenn eine solche Bundesanstalt endlich das Image, den Makel von ein paar Jahrzehnten abschütteln soll und ein neues Bild entwickeln muss,

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Die soll besser arbeiten, nicht neue Bilder malen!)

Vermittlungsarbeit leisten muss und dafür Geld einsetzt, dann wird das in Bausch und Bogen verurteilt. Das ist doch lachhaft. Was dort stattfindet, hat mit sachlicher Kritik nichts mehr zu tun.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Geldverschwendung! - Volker Kauder (CDU/CSU): Bleiben Sie ganz ruhig, Herr Clement!)

   Wir werden noch weiter über das zu diskutieren haben, was im Bereich des Arbeitsrechts und des Tarifvertragsrechts geschehen soll. Das gehört mit in das Vermittlungsverfahren.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Ganz ruhig!)

Wir werden das noch im Einzelnen erörtern. Wir werden uns dabei, so hoffe ich, auch bewegen.

   Der Wissenschaftliche Beirat meines Ministeriums wird sich heute in seiner eigenen Zuständigkeit für Öffnungsklauseln in Tarifverträgen aussprechen. In der Veröffentlichung wird es heißen: in unbedingter Form und von Gesetzes wegen. Ich will gleich sagen, dass ich mir das nicht zu Eigen mache. Ich fürchte nämlich, dass dies das Ende von Flächentarifverträgen und auf längere Sicht auch das Ende der Tarifautonomie wäre. Solche Ansätze kann man entwickeln, aber man muss sie zu dem in Beziehung setzen, was in unserer Volkswirtschaft bisher geschehen ist, und das war, wenn ich das Ganze nehme, außerordentlich erfolgreich.

   Unbestritten ist, dass das System der Tarifautonomie unter hohem Anpassungsdruck steht, ökonomisch, aber auch im Hinblick auf die Sicherung der Akzeptanz der Unternehmen und Arbeitnehmer. Unbestritten ist auch, dass sich die Tarifautonomie weiterentwickeln muss, dass wir Raum für Flexibilität und Differenzierung brauchen und dass sich die Verbände auf beiden Seiten stärker zu Serviceeinrichtungen entwickeln müssen.

   Ich setze aber darauf - da bin ich offensichtlich anderer Meinung als manche, nicht alle, von Ihnen -, dass die Tarifparteien die Zeichen der Zeit erkennen und selbst einer vernünftigen Weiterentwicklung der Tarifautonomie den Weg bahnen werden. Ich möchte gern, dass wir diesem Weg den Vorzug geben. Hier sind die Verbände auf beiden Seiten gefordert, sich zu bewegen.

   Herr Kollege Merz, Sie haben dieses Beispiel eines einzelnen Unternehmens aus Baden-Württemberg genannt. Ich kann Ihnen Hunderte von Unternehmen nennen,

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Wo das genauso ist!)

übrigens auch im Bereich der Metallindustrie, in denen solche betrieblichen Vereinbarungen zum Wohl der Unternehmen zustande gekommen sind. Im Tarifbereich gibt es - wie Sie wissen - auf beiden Seiten Bewegung, die sehr viel weiter geht, als man gemeinhin annimmt. Sie wissen auch, dass es auf beiden Seiten sehr vernünftige Persönlichkeiten gibt, die den Flächentarifvertrag außerordentlich hoch achten und wenig von gesetzlichen Eingriffen halten, solche Eingriffe allenfalls als die allerletzte Möglichkeit betrachten.

   Der Vorschlag, der vonseiten der CDU/CSU und der FDP eingebracht worden ist, ist aus meiner Sicht - das habe ich schon mehrfach gesagt - verfassungsrechtlich nicht haltbar. Er ist aus meiner Sicht verfassungswidrig.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Volker Kauder (CDU/CSU): Es gibt auch andere Meinungen!)

Deshalb glaube ich nicht, dass Sie damit Erfolg haben können. Herr Kollege Merz, wenn ich das richtig verfolgt habe, haben Sie selbst schon Kritik aufgenommen, beispielsweise die, die vom früheren Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts geäußert worden ist. Ich empfehle, dass wir von den Schlagworten wegkommen, uns der Realität zuwenden und vor allem den Verbänden, den Tarifparteien den Vortritt lassen, wenn es um eine Lösung für die notwendige Flexibilität am Arbeitsmarkt geht.

   Es geht natürlich auch um harte Einschnitte in traditionelle Besitzstände. Das gilt nicht zuletzt für mein Ministerium. Das gilt übrigens auch - das will ich an dieser Stelle sehr deutlich sagen - bei der Steinkohle.

(Dirk Niebel (FDP): 16 Milliarden!)

Ich will dazu ein paar Bemerkungen machen, auch an Ihre Adresse, Herr Kollege Kuhn.

   Wir führen die Subventionen selbstverständlich weiter zurück. Wir tun das allerdings nicht mit der Brechstange, sondern in sozialverträglichen Schritten. Um es klar zu sagen: Was vorgelegt worden ist und was Gegenstand der Haushaltsberatungen ist, ist ein sehr überlegter Weg zum Rückbau der Steinkohleförderung - in einer noch so eben sozialverträglichen Form; wir bewegen uns hart am Rande betriebsbedingter Kündigungen -, der es gleichzeitig erlaubt, sämtliche erforderlichen ökologischen Rücksichten zu nehmen. Ich sage das sehr bewusst vor dem Hintergrund von Diskussionen über einzelne Schachtanlagen, beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, und die ökologischen Fragestellungen, die damit verbunden sind. Mit dem Weg, den wir vorgeschlagen haben und im Haushalt vorsehen, schaffen wir meines Erachtens die Voraussetzungen, um sowohl die sozialen Aspekte als auch die ökologischen Aspekte als auch die energiepolitischen Zielsetzungen, das heißt die Fragen der Energieversorgungssicherheit und der Technologieführerschaft im Bergbau und bei der Kohlenutzung, berücksichtigen zu können.

   Ich wünschte mir manchmal, dass bei manchen Diskussionen über neue Kraftwerke oder die Entwicklung von Kraftwerkparks - wir werden ja ein Drittel der Kraftwerkskapazität innerhalb der nächsten gut 15 Jahre ersetzen müssen - all diejenigen, die sich über die Kohle auslassen, dabei wären und hören könnten, was es bedeutet, wenn wir heimische Kohle ersetzten. Ich werde Sie, Herr Kollege Brüderle, nicht davon abbringen, immer wieder etwas über die Kohle zu sagen. Selbst wenn Sie regierten und den Beschluss fassten, alle Schachtanlagen stillzulegen, wäre es aber illusorisch zu glauben, Sie könnten in den nächsten Jahren und Jahrzehnten die öffentlichen Subventionen streichen. Insofern erwecken Sie ununterbrochen einen falschen Eindruck. Auch durch Stilllegungen werden massive Kosten erzeugt. Weit über das Jahr 2012 hinaus werden wir noch auf Jahrzehnte 0,5 Milliarden investieren müssen, um die geologischen Folgen des Bergbaus und auch die sozialen Anpassungsmaßnahmen zu finanzieren. Dazu haben wir uns ja rechtlich verpflichtet.

(Zuruf des Abg. Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU))

- Es tut mir Leid, Herr Kollege, ich weiß, dass dieser Gesichtspunkt in Bayern nur schwer vermittelbar ist. Ich bitte Sie aber dabei um Hilfe, dass endlich deutlich wird, dass wir im Saarland und in Nordrhein-Westfalen mit der Steinkohle nicht nur einiges für den Aufbau Deutschlands getan haben, sondern dort auch Technologien entwickelt haben und bis auf den heutigen Tag entwickeln, die auf dem Weltmarkt eine sehr viel größere Rolle spielen werden, als es manchem von uns bewusst ist. Das sage ich auch an die Adresse der Grünen, Herr Kollege Kuhn.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Was wir an Kraftwerkskompetenz bis hin zum CO2-freien Kraftwerk entwickeln, kann übrigens, wenn das vernünftig eingesetzt wird, dazu beitragen, dass wir kostengünstiger mehr für den Umwelt- und Klimaschutz leisten als mit manchen Investitionen in erneuerbare Energien. Ich will das keineswegs gegeneinander ausspielen, aber das muss klar gesehen werden: Wir müssen alle Möglichkeiten im Prozess der energiewirtschaftlichen und -politischen Steuerung einsetzen. Daran arbeiten wir; vonseiten der Opposition hören wir dazu allerdings, wie ich finde, erstaunlich wenig. Dieses Thema scheinen Sie offensichtlich zurzeit ausgeblendet zu haben.

   Ich kann und will jetzt nicht zu den Einzelmaßnahmen und den einzelnen Bereichen, in denen das Wirtschaftsministerium tätig ist und die sich alle im Haushalt widerspiegeln, etwas sagen, also zur Energieforschung, zu Forschung und Entwicklung, zu Innovationen im Mittelstand, zur Förderung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen, zur Luftfahrtforschung, zur Außenwirtschaftsförderung und zu Ähnlichem.

   Lassen Sie mich nur anmerken - ich habe das schon gesagt, Herr Kollege Kuhn -: Die KfW-Mittelstandsbank, die wir aufgebaut haben, hat schon all das vorbereitet und teilweise auf den Weg gebracht, was aus meiner Sicht geschehen muss, um vor allen Dingen die kleinen und mittleren Unternehmen sowohl auf dem Kreditmarkt wie bei der Eigenkapitalbildung als auch bei der Akquirierung von Beteiligungskapital zu unterstützen. Es gibt Pakete, die teilweise am 1. Januar in Kraft treten werden. Ich nenne die Unternehmerkredite, die so kostengünstig wie möglich angeboten werden, die Eigenkapitalstärkung durch Nachrangdarlehen, also die Förderung durch mezzanine Mittel, und das Paket für Beteiligungskapital in Höhe von 500 Millionen Euro, das wir gemeinsam mit der Europäischen Investitionsbank und unserem ERP-Fonds auf den Markt bringen, um nicht nur technologieorientierte, sondern mittelständische Unternehmen insgesamt in ihren Bemühungen zu unterstützen, auf dem Markt Kapital zu akquirieren. Hier muss die Situation in Deutschland deutlich verbessert werden. Ich gebe Ihnen Recht: Die Hausbanken müssen ihrer Aufgabe, den Mittelstand ausreichend mit Krediten auszustatten, gerecht werden und sich, wenn erforderlich und möglich, stärker engagieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Lassen Sie mich weiter über Bürokratieabbau reden: Hierzu gehört das, was sich auch die Europäische Kommission vorgenommen hat, nämlich eine Novellierung des Handwerksrechts und des Rechts der Berufsstände sowie der Honorarordnungen. Sie wissen doch, dass das vonseiten der Europäischen Kommission ohnehin eingefordert werden wird und wir gezwungen werden, das zu tun. Wir sind bereit - das haben wir ja im Rahmen des Vermittlungsverfahrens deutlich gemacht -, sowohl über Neuregelungen für einfache handwerkliche Tätigkeiten als auch über eine große Handwerksreform miteinander zu sprechen.

   Machen Sie sich aber nichts vor, meine Damen und Herren: Seit Mitte der 90er-Jahre befindet sich das Handwerk in einer Krise, die sehr viel tief greifender ist als die wirtschaftliche Schwächephase, die wir gegenwärtig durchlaufen. Die Umsätze, die Zahl der Meisterprüfungen - ohne dass hier schon durch eine gesetzliche Regelung eingegriffen wurde -, die Beschäftigung und die Ausbildungsleistungen gehen spürbar zurück, und zwar deutlich über das Maß der allgemeinen wirtschaftlichen Schwächephase hinaus. Ich bin überzeugt, dass unsere Novellen einen Impuls für Neugründungen, für mehr Wettbewerb und für mehr Innovationsfähigkeit des Handwerks geben und es auf diese Weise gelingt, das Handwerk zu stärken, damit die Zahl der Beschäftigten und der Auszubildenden wieder steigt.

Wir müssen das Handwerk europafest machen: Wir müssen das Handwerk vor Inländerdiskriminierung schützen. Ich sage Ihnen das freimütig, Herr Kollege Hinsken, Ihnen allen, auch Ihnen, Herr Kollege Brüderle, der Sie das Handwerk so tapfer zu verteidigen meinen: Sie machen einen Fehler dabei.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)

Die so genannten einfachen handwerklichen Tätigkeiten sind inzwischen schon höchstrichterlich definiert als Tätigkeiten, die man binnen eines Vierteljahres lernen kann.

   Wenn Sie verfolgen, wie der Streit und die Diskussion zwischen dem ZDH, dem Zentralverband des Deutschen Handwerks, und dem DIHK, dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag, verlaufen, dann sehen Sie, woran wir leiden: Wir haben dort eine Menge an Bürokratie, die kaum zu überwinden ist, Verkrustungen und mangelnde Beweglichkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie werden nicht im Ernst annehmen, dass wir uns damit abfinden. Wir werden dort zu Bewegung kommen müssen. Sie kritisieren ja meine „mangelnde Durchsetzungsfähigkeit“ - das mag ja sein -, aber unterschätzen Sie nicht meine Zähigkeit. Ich werde an diesem Thema dranbleiben wie an allen anderen, etwa an der Ausbildung.

   Herr Merz, der Kollege Kuhn hat doch Recht: Ihre Charakterisierung der jungen Leute ist doch absurd.

(Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Das hat er doch erklärt!)

Dass es im Bildungsbereich Schwächen gibt, darauf hat Herr Kuhn zu Recht hingewiesen; diese Diskussion ist eigentlich wichtiger als die, die wir im wirtschaftspolitischen Bereich an manchen Stellen führen.

   Aber ich würde Ihnen sehr gerne einmal von den guten Erfahrungen berichten, die ich mache, wenn ich Unternehmen besuche: Ich stelle fest, dass es hervorragende junge Leute in Deutschland gibt, hervorragend qualifizierte Leute,

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das bestreitet doch niemand!)

die an ihrer Karriere, ihrer beruflichen Entwicklung interessiert sind. Das trifft immer noch auf die große Mehrheit der jungen Leute zu. Ich würde sie gerne darin unterstützen und mit Ihnen und vielen anderen dafür sorgen, dass sie eine vernünftige berufliche Ausbildung bekommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Das hat er auch nicht moniert!)

   Herr Schleyer - das ist der Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, wie Sie wissen - hat sich kürzlich über unsere Reformfähigkeit in Deutschland wie folgt geäußert: In der Reformwerkstatt darf nicht nur an Detaillösungen gewerkelt werden. Wir brauchen dringend einen Befreiungsschlag! Ärmel hochkrempeln - so lösen wir im Handwerk Probleme. So funktioniert es auch in der Politik!

(Rainer Brüderle (FDP): Öffnungsklauseln!)

   Ich lasse einmal dahingestellt, ob die Diskussion im Handwerk diesem eigenen Anspruch gerecht wird,

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Was sagt er zur Reform des Handwerks? Was sagt Herr Schleyer zur Handwerksordnung?)

aber Recht in der Sache hat er.

   Meine Damen und Herren, wir sind gehalten, diesen Befreiungsschlag zu machen, indem wir über die Reformenvorschläge, die jetzt auf dem Tisch liegen - zu denen es von Ihnen teilweise Gegenentwürfe gibt -, zu gemeinsamen Lösungen kommen. Ich gehöre immer noch zu denen, die der Meinung sind: Wir können das schaffen. Meine Zuversicht ist allerdings in den letzten Tagen nicht gewachsen, um das sehr deutlich zu sagen. Ich setze darauf, dass sich das in den nächsten Tagen und erst recht nach dem CDU-Parteitag verändern wird. Wir stehen nämlich unter massivstem Zeitdruck. Ich werde anschließend aber auch nicht anstehen, ebenso deutlich zu sagen, woran es liegt, wenn wir scheitern sollten. Ich tue alles, um einen Erfolg möglich zu machen.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Friedrich Merz.

Friedrich Merz (CDU/CSU):

Herr Clement, ich will zunächst einmal wiederholen,

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein! Lieber nicht!)

was ich in meiner Rede gesagt habe - das geht auch an Ihre Adresse -: Es fällt auf Sie selbst zurück, wie Sie sich verhalten.

(Volker Kröning (SPD): Das müssen Sie gerade sagen!)

Ich sage das auch an die Adresse des Kollegen Kuhn: Ich habe aus einem Leserbrief zitiert und ausdrücklich gesagt, dass ich dies so nicht verallgemeinere, dass es aber ein Schlaglicht wirft auf die häufig anzutreffende mangelnde Qualifikation der Bewerberinnen und Bewerber um Ausbildungsplätze. Ich bleibe dabei, dass dies ein Problem ist, ein größeres Problem als in anderen Bereichen. Das Problem mit der Ausbildungsplatzabgabe sehen offensichtlich wir beide, Herr Clement, gleichermaßen.

   Zweitens zur Person des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit: Ich habe sehr wohl registriert, dass Sie hier zunehmend dünnhäutig reagieren, wenn dieses Thema angesprochen wird; das kann ich sehr gut verstehen. Herr Clement, wir kritisieren nicht, dass die Bundesanstalt für Arbeit PR-Kampagnen macht - das ist sicherlich auch notwendig für diese Institution. Aber wir kritisieren die Art und Weise, wie dies gemacht worden ist; wir stellen die Frage, ob eine Ausschreibung stattgefunden hat. Die Tatsache, dass der Beratervertrag jetzt aufgelöst wird, zeigt doch, dass unsere Kritik - jedenfalls in Teilen - berechtigt gewesen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Beklagen Sie als Dienstherr dieser Institution sich im Übrigen nicht, dass Sie hier zur Rechenschaft gezogen werden. Einerseits erklärt der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit öffentlich, dass er dem Deutschen Bundestag gegenüber keine Rechenschaft abzulegen habe. Andererseits befremdet es doch sehr, wenn derselbe Herr dann am Ende des Jahres 5 bis 10 Milliarden Euro Zuschuss für diese Bundesanstalt für Arbeit haben will, weil er mit dem Geld nicht auskommt. Wir können ihn nicht zwingen, hier anzutreten, aber wir können Sie, Herr Clement, um Rede und Antwort bitten. Deshalb bitte ich doch herzlich darum, dass Sie dann nicht so reagieren, wie Sie das gerade hier am Rednerpult getan haben. Sie jedenfalls sind dem Deutschen Bundestag Rechenschaft schuldig.

   Wenn Sie sagen, dass wir Sie nicht so schnell los werden, dann beschwert mich das bei Ihnen weniger als bei anderen, die dort auf der Regierungsbank sitzen. Aber umgekehrt werden auch Sie uns nicht los in unserer parlamentarischen Verpflichtung, nachzufragen, was da eigentlich stattgefunden hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Minister, Sie haben das Wort.

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Merz, zunächst zur Ausbildung. Herr Kollege Kuhn hat die Sorge geäußert hat, die ich auch habe, dass Sie, wenn Sie einen solchen Brief verlesen, damit einen Eindruck über die Auszubildenden und die Situation am Ausbildungsmarkt erwecken, der unrichtig ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!)

Deshalb habe ich Ihnen so widersprochen und ich tue das mit einer gewissen Leidenschaft, die Sie mit Dünnhäutigkeit verwechseln. Dann kann ich viel schlimmer werden; das sollten Sie nicht falsch einschätzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Ich engagiere mich bei diesem Thema seit vielen Jahren. Andere tun das auch; ich reklamiere da keineswegs einen Exklusivanspruch für mich. Ich sage Ihnen aber: Die Lage der Ausbildung ist sehr differenziert zu sehen und sie verlangt sehr differenzierte Antworten. Es reicht nicht, einen solchen Brief vorzulesen, der einen falschen Eindruck erweckt. Darum geht es.

   Natürlich haben wir Probleme. Natürlich gibt es das Problem, dass 10 000 junge Leute, die schon einen Ausbildungsplatz hatten, inzwischen die Ausbildung schon wieder abgebrochen oder teilweise den Ausbildungsplatz gar nicht angetreten haben. Es gibt gravierende familiäre, familienpolitische und gesellschaftliche Probleme.

(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

   Deshalb nutze ich von hier aus die Möglichkeit, wie ich das ständig tue, nicht wie Sie „Hört! Hört!“ zu rufen, sondern an diejenigen zu appellieren, die ausbilden können und ausbilden wollen - auch an die Initiativen, von denen es Hunderte oder Tausende gibt -, in ihren Bemühungen nicht nachzulassen, damit wir in diesem Jahr die notwendige Zahl von Ausbildungsplätzen zusammenbekommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es wäre sehr gut, wenn das gelänge. Das würde viele andere Probleme lösen und viele Fragen beantworten.

   Zu Herrn Gerster. Auch da reagiere ich nicht dünnhäutig, um das klar zu sagen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Och!)

- Ich will ich Ihnen jetzt ja keine Charakteristik von mir geben, wie ich wann reagiere. Ich will Ihnen nur sagen:

   Erstens. Ich verteidige es und ich stehe dafür ein. Wenn Sie wollen, dass ich dazu Rede und Antwort stehe, stehe ich selbstverständlich jederzeit Rede und Antwort. Herr Gerster wird aber morgen im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Rede und Antwort stehen. Wenn Sie wollen, dass ich irgendwo zu den Vorgängen Stellung nehme: sehr gern.

   Zweitens. Dieser Vorstand hat eine gewaltige Aufgabe. Das wissen auch Sie. Dieser Vorstand ist erst sehr kurze Zeit im Amt. Es ist sehr schwer, eine solche Veränderung, die dort durchzuführen ist, hinzubekommen. Aus meiner Sicht leistet dieser Vorstand gute Arbeit.

   Das ändert nichts daran, dass in einem solchen Unternehmen - wir wollen, dass es wirklich ein Unternehmen wird - auch Fehler begangen werden. Es gibt kein unternehmerisches Handeln, ohne Fehler. Fehler begeht man nur dann nicht, wenn man alles hundertprozentig absichert. Das kostet Zeit und Dynamik und ist eines der Probleme unserer Bürokratie.

   Es kann sein, dass bei dem Ausschreibungsverfahren ein Fehler begangen worden ist. Das werden wir feststellen und klären und dann ist dazu Stellung zu nehmen. Aber wenn versucht werden sollte - von wem auch immer, von innen aus der Anstalt heraus oder von außen -, damit die Reformarbeit, die dort geleistet wird und die zwingend notwendig ist, zu stoppen oder aufzuhalten oder zu diskreditieren, dann stehe ich dem entgegen.

   Deshalb habe ich überall deutlich zu machen versucht, auch bei den gegenwärtigen Veröffentlichungen, dass Herr Gerster und seine Vorstandskollegen mein Vertrauen haben und dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesanstalt meine Unterstützung haben. Es ist für sie nicht einfach, sich umzustellen. Dort müssen und werden wirklich ein neues Denken und eine andere Vermittlungskultur Platz greifen. Das ist meine Antwort an Sie.

   Um es noch etwas konkreter zu sagen: Soweit ich zurzeit informiert bin, hat Herr Gerster seinen Vorstand und den Verwaltungsrat und auch mich Anfang des Jahres darüber informiert, dass er beabsichtigt, die Agentur zu beauftragen. Das war ein Satz, mit dem ich informiert worden bin. Herr Gerster hat durch seine Justizabteilung bescheinigt bekommen, dass er den Auftrag freihändig vergeben könne. Das ist mein Informationsstand. Das ist das eine, was man sehen muss.

Das andere ist dies: Dass jetzt die beiden Seiten sagen, man sollte vielleicht diesen Vertrag aufheben, hat natürlich damit zu tun, dass man sich der gegenwärtigen Kampagne stellen muss und dass man, wenn man Kommunikationsarbeit leisten will, natürlich darauf angewiesen ist, dass man nicht gegen eine öffentliche Wand läuft, sondern dass man, wenn irgend möglich, Zustimmung findet. Das würde jedes Unternehmen tun. Auch diese PR-Agentur wird das tun.

   Wenn Sie sagen, dass wir Sie nicht loswerden, dann muss ich sagen, dass ich das befürchtet habe. Es wäre mir am liebsten, wenn wir alle die gegenwärtigen Rollen beibehalten würden.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

   Was das Loswerden ansonsten angeht, muss ich sagen: Sie werden uns natürlich auch nicht los, was unsere Erwartung angeht, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. Dazu müssen Sie sich bewegen und dürfen nicht ständig neue Bedingungen stellen, nach dem Motto: Wenn dieses nicht passiert, dann findet jenes nicht statt. - So wird man nicht zu Ergebnissen kommen.

(Beifall bei der SPD)

   Meine dringende Bitte ist deshalb, dass sich beide Seiten bewegen.

   Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Dirk Niebel, FDP-Fraktion.

Dirk Niebel (FDP):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Clement, ich habe zwar nicht von Anfang an mitgezählt, aber ich meine, Sie hätten in Ihrer Rede den Kollegen Kuhn von den Grünen mindestens siebenmal namentlich angesprochen, davon fünfmal in werbender Form, dass er doch bitte Ihre Politik unterstützen möchte. Diese Redezeit hätten Sie sich sparen können. Sie werden nachher bei der namentlichen Abstimmung über die Erweiterung der Steinkohlesubventionen um 16 Milliarden Euro feststellen, dass die Grünen sowieso zustimmen werden, weil sie keinerlei eigene Überzeugungen in diesen Politikfeldern haben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir diskutieren in dieser Woche einen von Ihnen vorgelegten Haushalt, der dem Deutschen Bundestag von Anfang an vorsätzlich in verfassungswidriger Form zugeleitet worden ist. Auch der Haushalt Ihres Ressorts weist einige Gefahrenpotenziale auf. Ich möchte nur in Erinnerung rufen, dass Sie auch in diesem Haushaltsjahr sukzessive die Erwartungen bezüglich des Wirtschaftswachstums nach unten bis zu einer rot-grünen Null korrigieren mussten und dass die Zahlen der Arbeitslosen doch höher waren, als Sie sie eingeschätzt haben. Auch Ihre Prognose für das nächste Jahr leistet nur das, was man von einer Prognose erwarten kann, und hängt zudem unmittelbar von den politischen Rahmenbedingungen ab, die wir in diesem Hause beschließen.

   Darüber hinaus haben Sie in Ihrem Haushalt immer noch vorgesehen, die neue Leistung Arbeitslosengeld II in der dem Vermittlungsausschuss zugeleiteten Fassung, also mit allen haushälterischen Risiken, die das mit sich bringt, einzuführen. Dabei wissen Sie erstens gar nicht, ob es das Gesetz überhaupt geben wird. Bei allem konstruktiven Verhalten der Opposition hängt es auch sehr von Ihrer Bewegungsfähigkeit ab. Zweitens wissen Sie nicht, unter welchen Voraussetzungen das Gesetz in Kraft tritt. Denn die Diskussion der letzten Tage zeigt ganz deutlich: Die Bundesanstalt für Arbeit ist wahrscheinlich die ungeeignetste Institution, um diese neue Leistung zu administrieren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir diskutieren hier heute also über nicht mehr und nicht weniger als über einen Haushalt für Arbeitslosenhilfe und Steinkohlesubventionen. Das bringt mich zu dem, was Sie vorhin angesprochen haben. In der letzten Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit hat Herr Gerster mit dem Argument, er sei dem Parlament nicht rechenschaftspflichtig, weil diese Zahlungen nicht aus Steuer-, sondern aus Beitragsmitteln erfolgt seien, die Aussage verweigert. Das unterstützt meine Forderung, dass wir dringend eine Redemokratisierung der Arbeitsmarktpolitik brauchen.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU))

   Wir diskutieren Ihren Haushalt für Arbeitslosenhilfe und Steinkohlesubventionen. Aber der Bereich, in dem wirklich die Musik spielt - das ist der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit mit einem Volumen von 53 Milliarden Euro -, ist dem Zugriff des Parlaments gänzlich entzogen.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wollen Sie das denn ändern?)

Dieser Haushalt wird nämlich vom Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit aufgestellt. Er wird festgestellt von den Selbstverwaltungsgremien, unter anderem von Frau Engelen-Kefer, und genehmigt von der Bundesregierung.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie sind nicht konsequent!)

Das Parlament hat also keinen Einfluss. Wir sind tatsächlich außen vor. Aber angesichts der hohen Summen und der Art und Weise, wie mit diesen Geldern umgegangen wird, ist es skandalös und politisch in höchstem Maße instinktlos, wenn man hier nicht endlich zu einer Redemokratisierung der Arbeitsmarktpolitik kommt.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Herbert Frankenhauser (CDU/CSU))

   Ich kritisiere die Auftragsvergabe, weil ich sie politisch für instinktlos halte und den Menschen angesichts der notwendigen Sozialreformen nicht vermittelbar ist, was da passiert ist. Aber weil das Leben manchmal vielschichtiger ist, frage ich nach: Wem nützt es denn? - Wenn Sie sagen, der Reformprozess dürfe weder von außen noch von innen angegriffen werden, dann wird diese Frage noch viel berechtigter.

   Der Bundeskanzler hat - wörtliches Zitat - seinen „besten Mann“ auf seine „wichtigste Baustelle“ geschickt. Wenn ich aber sehe, dass er auf dieser Baustelle gleich einzementiert worden ist zwischen dem Hauptpersonalrat, der kaum bereit ist, einer wirklichen Reform zuzustimmen, der paritätischen Selbstverwaltung zu jeweils einem Drittel aus Gewerkschaftsfunktionären, Arbeitgeberfunktionären und denen, die, mit Frau Engelen-Kefer an der Spitze, ihre öffentlichen Hände meistens in den Taschen der Bürger haben, sowie einer SPD-Bundestagsfraktion, die die Reformwilligkeit nun wirklich nicht mit Löffeln gegessen hat, dann muss ich angesichts eines Wustes von Gesetzen, Vorschriften und Verordnungen schon sagen, dass es für ihn sehr schwierig ist.

   Die ersten kleinen Reformschritte haben dazu geführt, dass die Gelder in der Weiterbildungsindustrie effizienter eingesetzt werden. Von diesen Reformbemühungen wirklich schmerzhaft getroffen wurde die Arbeitslosenindustrie. Die Deutsche Angestellten-Akademie - sie gehört dem grünen Gewerkschafter Bsirske von Verdi -, das BFW des DGB - es gehört Frau Engelen-Kefer - und das Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft sind die größten Bildungsträger in der Bundesrepublik Deutschland. Es wundert mich daher nicht, dass es intern offenkundig eine große Anzahl von Personen gibt, die Herrn Gerster entweder loswerden oder zumindest so beschädigen wollen, dass er ihnen nicht weiter wehtut.

   Aber der Bundeskanzler wird ihn gar nicht fallen lassen können. Denn wenn einer seinen „besten Mann“ fallen lässt, dann fällt dieser ihm gleich auf die Füße. Ich bin sehr gespannt, wie es morgen weitergeht.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Werner Schulz, Bündnis 90/Die Grünen.

Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Niebel, nur keinen Neid, weil Sie in der Rede des Ministers nicht genannt worden sind!

   Es ist nicht nur Usus, sondern äußerst vernünftig, dass wir bei der Debatte des Einzelplans 09 einen Ausblick auf das künftige Wirtschaftsgeschehen geben und eine Bilanz des laufenden Wirtschaftsjahres ziehen.

   Wir bewegen uns jetzt aus der Stagnation heraus. Diese Wirtschaftsflaute war nicht nur ein deutsches Phänomen. Sie hatte den gesamten europäischen Raum erfasst. Ich erinnere an den Irakkrieg, an die SARS-Epidemie und an die Unsicherheiten der amerikanischen und der japanischen Konjunktur, die den Attentismus der Investoren und die Zurückhaltung der Verbraucher verstärkt haben.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU):
Warum nur in Deutschland?)

- In Deutschland besonders stark. Aber wir haben auch seit 1990 besondere Bedingungen zu schultern.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Schlechte Regierung!)

Herr Austermann, Sie wissen das bestens. Sie plagen sich damit im Haushaltsausschuss herum. Wir haben uns darüber oft genug unterhalten.

   Mittlerweile ist Deutschland wieder Exportweltmeister. Aber Ihnen, Herr Austermann, genügt das offenbar nicht. Sie möchten auch Weltmeister im Lamentieren werden. Dieses Nationaltheater der Selbstzerfleischung, in dem man die Wirtschaftsbelebung klein - und den Standort schlechtredet, bringt uns überhaupt nicht weiter, sondern macht uns zunehmend zu schaffen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Sowohl die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute als auch der Sachverständigenrat stellen einen deutlichen Konjunkturaufschwung in Aussicht. Das hat nicht nur damit zu tun, dass im nächsten Jahr länger gearbeitet wird, weil Feiertage aufs Wochenende fallen, sondern ausdrücklich auch mit der Reformpolitik der rot-grünen Bundesregierung.

   Sicher, keiner der vorgesehenen Schritte ist unumstritten. Der Sachverständigenrat weist auf den immanenten Widerspruch der vorgezogenen Steuerreform hin, bei hoher Staatsverschuldung und defizitärer Haushaltslage die Steuern zu senken. Dennoch kommt er zu dem Schluss, dass es vernünftig ist, diesen Schritt zu tun, weil hier Erwartungen aufgebaut worden sind - übrigens auch von der Opposition. Denn diese Position hatten Sie genau bis zu dem Zeitpunkt, als die Regierung beschloss, die Steuerreform vorzuziehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ein solcher Positionswechsel von Schwarz auf Weiß gelingt einem sonst nur, wenn man gegen sich selber Schach spielt. Das tun Sie momentan im Vermittlungsausschuss.

   Es ist offensichtlich wichtig, Zuversicht zu verbreiten. Für viele ist entscheidend, dass sich überhaupt etwas bewegt. Sie merken, dass nichts mehr weitergeht, wenn alles so weiterläuft wie bisher. Es geht um den Rückgewinn von Vertrauen, Zuverlässigkeit der Politik und sicherlich auch um Planungssicherheit, die in den letzten Jahren infrage stand.

Der Ifo-Geschäftsklimaindex ist zum siebten Mal in Folge gestiegen. Auch das ist ein deutliches Zeichen, dass dieses Vertrauen sich langsam wieder aufbaut. Sicher, diese Konjunktur bekommt ihren Treibstoff vor allem aus Übersee und wir hoffen, dass der Binnenmarkt ebenfalls anspringt. Hier macht mir weniger der Stabilitätspakt als vielmehr das Leistungsbilanzdefizit der USA Sorgen. Wir wissen genau, dass die Märkte es möglicherweise sehr schnell durch eine deutliche Abschwächung des Dollars korrigieren werden. Dann haben wir beim Export ein Problem.

   Die Aufregung um den europäischen Stabilitätspakt ist eigentlich nicht zu verstehen, weil es sich international durchaus bewährt hat, in der Geld- und Finanzpolitik antizyklisch zu handeln. Im Übrigen haben die Geld- und Finanzmärkte sehr cool darauf reagiert. Der Euro ist stabil geblieben. Im Stabilitätspakt sind im Übrigen auch solche Möglichkeiten vorgesehen. Die Haltung von Pedro Solbes, dem Währungskommissar, ist kaum nachvollziehbar, der ja, Herr Austermann, immer wieder darauf hinweist, dass wir infolge der deutschen Einheit besondere Lasten zu tragen haben, die eine Ausnahmebehandlung rechtfertigen. Wenn wir diese aber in Anspruch nehmen, reagiert man plötzlich restriktiv. Das passt irgendwie nicht zusammen.

   Dennoch ist Vorsicht geboten, weil es doch sehr fragwürdig ist, ob allein ein wirtschaftlicher Aufschwung alle Probleme lösen kann. Es gibt noch sehr viele, die diesen Glauben an den Wirtschaftsaufschwung haben. Ich empfehle Ihnen, sich im Jahresgutachten das Kapitel zur Entwicklung des Produktionspotenzials anzuschauen. Wir haben seit etwa 15 Jahren einen Rückgang des Potenzials - gemeint ist das Anlagenpotenzial, das Humankapital sowie Forschung und Entwicklung - zu verzeichnen. Diesen Trend werden wir nicht durch kurzfristige Konjunkturimpulse auffangen können. Diese sehr interessante Analyse muss uns zu ganz anderen Schlussfolgerungen führen, nämlich dazu, dass wir trotz der relativ geringen durchschnittlichen Wachstumsraten, die wir übrigens seit Jahrzehnten haben, eine hohe Beschäftigungsquote erreichen müssen. Das wird die große Aufgabe sein.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Nein, wir brauchen mehr Wachstum!)

   Das ist ein Schwerpunkt, den wir auch auf der Agenda wesentlich weiter nach vorn rücken müssen. Hier gibt es enorme Potenziale. Ich denke vor allen Dingen an die Potenziale in der Material- und Energieökonomie. Es ist relativ einfach, Leute zu entlassen, also die Kosten in den Betrieben durch Personalabbau zu reduzieren. Ein Topmanager hat unlängst gesagt: Wer so etwas tut, lässt Rückschlüsse auf das schlechte Management zu.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Die Wirtschaftsinstitute haben ausgerechnet, dass das Potenzial, das in der Material- und Energieeffizienz liegt, etwa 180 Milliarden Euro ausmacht. Diesem Kapitel werden wir uns nähern müssen.

   Oder schauen wir uns die Lohnnebenkosten an. Ich empfehle Ihnen, sich bei der Auseinandersetzung mit Florian Gerster nicht nur mit den Punkten zu beschäftigen, für die ihm offenbar das Gespür fehlt, sondern auch damit, wo er die wunden Punkte trifft. In der letzten Sonntagsausgabe der „FAZ“ hat er zum Beispiel gesagt, das Sozialbudget sei überproportional erhöht worden. Eine Folge daraus sei der Weg in die Verschuldung, vor allem aber hätten wir die Abgaben auf Arbeit drastisch erhöht. Allein vier Prozentpunkte des Gesamtbeitrages zur Sozialversicherung seien auf die systemwidrige Finanzierung der Folgen der deutschen Einheit zurückzuführen. Wenn wir über Patriotismus reden, sollten wir uns diesen großen Brocken vornehmen.

   Ich frage Sie: Wo ist eigentlich der Beitrag des nationalen Kapitals in unserem Land geblieben, dessen Pulver in den 90er-Jahren unter der Kohl-Regierung noch durch hochrentierliche Staatsanleihen vergoldet worden ist? Darüber sollten wir kritisch diskutieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Das wird aber langsam fad! Sie sind seit fünf Jahren dran!)

- Nein, Sie haben uns riesige Probleme hinterlassen. Das ist das Problem.

   Ich möchte Sie vor allen Dingen davor warnen, den Vermittlungsausschuss zu missbrauchen, die Tarifautonomie aufzubrechen, was Sie offensichtlich vorhaben. Was ich von dem Kollegen Brüderle höre - Tarifkartell kaputtmachen oder Einbruch in die Tarifautonomie -,

(Rainer Brüderle (FDP): Beirat!)

wird den sozialen Frieden in diesem Land kräftig schädigen. Die Bereitschaft zur Flexibilität bei den Gewerkschaften ist wesentlich höher, als durch die öffentliche Stigmatisierung ständig unterstellt wird. Die Gewerkschaftsvertreter wissen auch, dass die Berechtigung der Tarifverträge in der Flexibilität liegt. Es gibt diese betrieblichen Bündnisse für Arbeit. Die Frage ist nur, ob sie von oben, von der Politik, verkündet werden oder ob sie unten zustande kommen und damit Tragfähigkeit beweisen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Schulz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thiele?`

Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja.

Carl-Ludwig Thiele (FDP):

Herzlichen Dank, Herr Kollege Schulz. - Sie haben auf Versäumnisse in der Vergangenheit hingewiesen, wobei Rot-Grün jetzt schon fünf Jahre an der Regierung ist. Es geht nicht immer nur um die Bewältigung der Vergangenheit, sondern auch um die Gestaltung der Zukunft.

(Dr. Rainer Wend (SPD): Natürlich!)

   Am Ende der Debatte werden wir über einen Änderungsantrag der FDP eine namentliche Abstimmung durchführen. Im Haushaltsplan des Wirtschaftsministers wurde in Bezug auf diesen Punkt in der Ziffer 5 der verbindlichen Erläuterungen festgehalten, dass für den deutschen Steinkohlebergbau im Zeitraum 2006 bis 2012 bis zu 15 870 Millionen Euro, also fast 16 Milliarden Euro, zur Verfügung gestellt werden. Das ist ein Zukunftsprojekt.

(Franz Müntefering (SPD): Wo ist denn jetzt die Frage?)

   Ich höre Stimmen aus den Reihen von Rot-Grün, dass sie diese Regelung so nicht mittragen wollen. Ich frage Sie: Wie stehen Sie zu dem Antrag der FDP? Die Ausrede des Kollegen Kuhn, dies sei gesperrt, ist nicht zutreffend.

(Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Doch! Das stimmt!)

Es steht im Haushaltsplan, dass die Verpflichtungsermächtigung gesperrt ist. Die Verpflichtungsermächtigung hat aber nichts damit zu tun; denn dies ist nach den Verpflichtungsermächtigungen und nach der Sperre als verbindliche Erläuterung des Haushaltstextes angegeben.

(Franz Müntefering (SPD): So ein Quatsch!)

   Ich möchte wissen, wie die Grünen zu dieser verbindlichen Erklärung stehen. Das wird auch die Öffentlichkeit interessieren. Sie machen es sich immer sehr einfach, wenn Sie sagen: Wir stimmen dem nicht zu, was die SPD macht. - Wir zwingen Sie heute durch die Abstimmung über diesen Antrag, Farbe zu bekennen. Aber vorher interessiert mich, mit welcher Begründung Sie dem Antrag der FDP zustimmen werden. Denn anders können Sie gar nicht vorgehen, wenn Sie 16 Milliarden Euro von 2006 bis 2012 für die Steinkohle nicht bereitstellen wollen.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zeitschinderei ist das hier! - Franz Müntefering (SPD): Ab ins Haus der Geschichte!)

Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Kollege Thiele, ich freue mich darüber, dass sich nun auch die FDP ernsthaft vorgenommen hat, die Steinkohlesubventionen zurückzufahren. Das ist löblich.

(Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das haben sie ja früher nicht gekonnt!)

Ihr Antrag ist aber ein Vorführantrag. Solche Vorführanträge kenne ich zur Genüge: Sie werden im Grunde genommen nur zu dem Zweck geschrieben, um die Partner der Regierungskoalition in Verlegenheit zu bringen.

   Das wird Ihnen bei uns nicht gelingen. Wir haben in dieser Frage seit vielen Jahren einen festen Standpunkt und kämpfen sehr energisch dafür, die Steinkohlesubventionen zu reduzieren. Das ist unglaublich schwierig. Sie helfen uns nicht, indem Sie immer wieder das legendäre Beispiel bringen - Herr Brüderle hat das heute wieder genannt -, dass Joschka Fischer den Steinkohlekumpeln angeblich zur Hilfe geeilt sein soll.

(Rainer Brüderle (FDP): Natürlich!)

Ich war glücklicherweise dabei, als die Kumpel in Bonn demonstriert haben. Wir haben uns ihre Sorgen angehört, weil sich das für Vertreter der Politik einfach gehört.

(Rainer Brüderle (FDP): Aufhetzen tut ihr! Hetze war das!)

   Ich hätte mir nur gewünscht - das ist die andere Seite der Medaille, Kollege Brüderle -, dass Ihr Kollege Rexrodt zu der Zeit, als er Wirtschaftsminister war, den Kohlepfennig, der von den Verbrauchern bis dahin zur Steinkohlesubvention aufgebracht werden musste, abgeschafft hätte, anstatt ihn für den Staatshaushalt zu nutzen. Sie haben die Steinkohlesubventionen doch erst noch hochgefahren! Das war die Politik der FDP.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD - Gudrun Kopp (FDP): Wie votieren Sie denn nun? - Weiterer Zuruf des Abg. Rainer Brüderle (FDP))

- Das ist Tatsache, Kollege Brüderle. Sie müssen sich nur schlau machen. Ich weiß aber nicht, ob das bei Ihnen noch geht.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das lohnt sich nicht mehr bei Herrn Brüderle! Auslaufmodell!)

   Eine große Aufgabe ist - das haben Sie angesprochen -, die Folgekosten der Steinkohleproduktion in Deutschland zu ermitteln. Darum bemühen wir uns. Wir haben diesen Sperrvermerk vorgesehen. Daran arbeiten wir, weil wir wissen, dass in Deutschland die Zukunft der Energie nicht unter Tage liegt. Diese Idee wird von uns schon seit langem in der Politik verfolgt. Wir haben alles dafür getan, dass die erneuerbaren Energien und die Photovoltaik einen Schub bekommen. Was in den letzten Jahren in dieser Richtung geleistet worden ist, ist enorm. Trotzdem werden Sie es nicht schaffen, mit einem Handschlag die Steinkohleproduktion in Deutschland einfach zu beenden, so wie Ihnen das vorschwebt.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das will ja auch keiner!)

   Das entscheidende Problem, das wir bei der Arbeitslosigkeit haben, ist die geringe Qualifizierung. Die meisten Arbeitslosen haben eine mangelhafte oder gar keine Qualifizierung. Das ist ein Problem, das wir durch verstärkte Investitionen in Bildung und Umschulungen lösen müssen. Die Vorschläge zum Niedriglohnsektor, wie Sie sie vorgelegt haben, oder der Vorschlag, den Roland Koch gemacht hat, der glaubt, mit Stundenlöhnen von 2,50 Euro die Textilindustrie aus Asien nach Deutschland zurückbringen zu können, sind der falsche Weg.

Dazu gehört auch, zu sagen, wo der Rest des Einkommens herkommen soll, dass man in Deutschland mit einer solchen Tätigkeit leben kann. Wenn die Orientierung auf den globalen Wettbewerb so aussieht - rumänische Facharbeiterlöhne, amerikanische Vorstandsbezüge und chinesisches Arbeitsrecht -, bringt uns das mit Sicherheit nicht weiter, sondern erhöht im Gegenteil die sozialen Spannungen.

   Wir sind uns sicher und verfolgen den Weg, dass der gesellschaftliche Wandel in unserem Land mit Sicherheit und vor allen Dingen mit sozialer Gerechtigkeit gestaltet werden muss.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich gebe dem Kollegen Carl-Ludwig Thiele das Wort zu einer Kurzintervention.

(Franz Müntefering (SPD): Er kann ja noch einen Antrag stellen!)

Carl-Ludwig Thiele (FDP):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich kann hier nur feststellen, dass die FDP beantragt hat, die Streichung dieser nicht ordnungsgemäß beschlossenen Erklärung, die durch einen Umdruck ins Haushaltsverfahren eingebracht worden ist, zur namentlichen Abstimmung zu stellen, und dass ich auf die Frage, wie die Grünen votieren werden, keine Antwort vom Kollegen Schulz erhalten habe.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP - Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das können Sie nachher bei der Abstimmung sehen! Das ist ganz einfach!)

   Ich finde es bedauerlich, dass unser Antrag, eine konkrete Passage des Haushaltsgesetzes, welches wir heute beraten und über dessen Einzelpläne wir einzeln abstimmen, zu streichen, als Schaufensterantrag bezeichnet wird. Das ist kein vernünftiger Umgang mit einem Gesetz, das Sie ja immerhin wollen. Das ist kein Schaufensterantrag, sondern ein sehr konkreter Antrag.

   Die Sperre - ich sage das hier noch einmal, weil diese Ausflucht überhaupt nicht gelten kann - bezieht sich auf die Verpflichtungsermächtigung. Die Verpflichtungsermächtigung hat aber nichts mit der verbindlichen Erklärung zu tun. In der verbindlichen Erklärung wurde zugesagt, dass die deutsche Steinkohle zwischen 2006 und 2012 mit weiteren 16 Milliarden Euro gefördert werden soll.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das finde ich skandalös: Wir beraten hier einen Haushalt und die Bundesregierung erklärt, sie könne nicht mehr sparen. Bei der Bildung, der Forschung und in anderen Bereichen fehlen Gelder und hier kommt es zu einer Vorfestlegung der Bundesregierung, nach der in sechs Jahren 16 Milliarden Euro gezahlt werden. Das ist nicht vermittelbar. Deshalb muss hierzu eine namentliche Abstimmung stattfinden.

   Ich bitte diejenigen, die nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft unseres Landes investieren wollen, dieser Streichung zuzustimmen. Um es deutlich zu sagen: Mit der Streichung würde noch nicht festgelegt werden, was in dem Zeitraum passiert. Dass hier von heute auf morgen nicht alles auf null gefahren werden kann, ist auch für uns Liberale vollkommen klar. Wie Rot-Grün aber in der heutigen Situation dazu kommt, diese Zahlen für verbindlich zu erklären, ist mir unbegreiflich. Das halte ich für skandalös. Wir hoffen, dass der eine oder andere von Rot-Grün dieser Argumentation in der namentlichen Abstimmung folgen wird.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Schulz verzichtet auf eine Erwiderung. - Der Kollege Hans-Joachim Fuchtel, CDU/CSU-Fraktion, hat das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Fast jeder Redner der Koalition hat die Verpflichtung der Hausbanken angemahnt. Diese sollen mehr tun, um die Wirtschaft zu fördern. Aus dem Mund von Rot-Grün kann man das nicht mehr akzeptieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Ich nenne drei Argumente - man könnte noch viel mehr nennen -: Erstens. Kapital ist so scheu wie ein Reh. Solange Sie ständig über Erbschaftsteuer, Vermögensteuer oder sonstige Dinge diskutieren, brauchen Sie sich überhaupt nicht zu wundern, dass die Banken nur wenige Chancen haben, sich gut zu refinanzieren, weil ihnen die Substanz entzogen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Brüderle (FDP))

Zweitens. Ihre Gesetze und Vorschläge sind sehr kurzlebig. Deshalb fehlt die Verlässlichkeit, die ein wesentliches Element ist, um Vertrauen zu erwirtschaften, welches Voraussetzung für ein größeres Engagement ist. Drittens. Durch die Rekordpleitenwelle wird den kleineren Banken die Substanz dafür entzogen, dass sie sich dort weiter engagieren können.

   Bringen Sie das alles in Ordnung! Dann können Sie über dieses Thema wieder ernsthaft mitsprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Minister Clement, wenn ich mich richtig erinnere, sind Sie mal als Superminister geholt worden, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Man hat Ihnen wirklich sämtliche Kompetenzen gegeben, damit Sie diese Aufgabe angehen können.

(Wolfgang Clement, Bundesminister: Ja!)

- Ich sehe, Sie bestätigen das. Aber ich muss Sie fragen: Was haben Sie daraus gemacht?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Nichts!)

Eine Rekordarbeitslosigkeit haben Sie daraus gemacht, obwohl Sie alle Kompetenzen besitzen, um entsprechend durchzugreifen. Leider sind Sie mit Ihrem Etat nur bei der Schuldenmacherei Superminister.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Am Anfang dieses Jahres hat man festgelegt, dass es keine neuen Zuschüsse für die Bundesanstalt für Arbeit gibt. Als es dann anders kam, hat man dies mit dem Hartz-Konzept verteidigt. Der Kollege Kröning lächelt ein wenig; er kennt offensichtlich einige Interna. Der Kollege Schulz hat selbst im Ausschuss angemahnt, dass es zu einem Argumentationsbruch bei der Koalition kommen könnte. Am Ende des Jahres wurde nicht mehr das Hartz-Konzept als Argument für die Zuschüsse angeführt, auf einmal war die schlechte Konjunktur ausschlaggebend. Wer soll einem solchen Wirtschaftsminister noch glauben? Wer soll dessen Argumente und Zahlen noch ernst nehmen? Wer erwartet von diesem Wirtschaftsminister noch die Verlässlichkeit, die notwendig ist, um die Wirtschaft in Gang zu bringen?

   Das Problem ist: Der Haushalt dieses Arbeits- und Wirtschaftsministers beinhaltet Risiken von mehreren Milliarden Euro. Darüber ist heute gar nicht gesprochen worden. Am Ende des Jahres werden Sie mit einem unschuldigen Augenaufschlag wieder ein paar Milliarden Euro für die Bundesanstalt für Arbeit überweisen. Das hilft niemandem. Am wenigsten hilft es den nächsten Generationen. Um sie müssen wir uns sorgen. Für sie müssen wir Politik machen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

   Die zu erwartenden Einspareffekte sind nicht so spektakulär, wie sie manchmal dargestellt werden. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass das Rad neu erfunden worden ist. Ich kann Ihnen, ohne zu tief einsteigen zu müssen, sagen: Mit der Union wären diese Einsparungen schon vor einigen Jahren erzielt worden. Wenn wir dies getan hätten, wären wir heute weiter.

(Beifall bei der CDU/CSU - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das glauben Sie doch selber nicht! - Lachen bei Abgeordneten der SPD)

- Sie lachen, Herr Brandner - wie immer! 4,5 Millionen Arbeitslose, das kann Sie offenbar nicht erschüttern.

(Klaus Brandner (SPD): Sie haben uns fast 5 Millionen Arbeitslose hinterlassen!)

Sie sollten über diese Dinge ein wenig ernster mit uns sprechen. Was muss denn noch alles in diesem Land geschehen, damit Sie mit Ihrer arroganten Art aufhören?

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Sie haben doch die Zumutbarkeitsregeln wieder zurückgeschraubt

(Klaus Brandner (SPD): Zu Recht!)

und dann vier Jahre nichts getan. Erst jetzt fangen Sie mit ersten Maßnahmen an. Das ist zu wenig, um wirklich erfolgreich zu sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fuchteln Sie doch nicht so herum!)

   Ein anderes Stichwort sind die Meldekontrollen. Sie haben diese Meldekontrollen bis aufs Messer bekämpft. Jetzt brauchen Sie zur Umsetzung dieser Maßnahme viel Personal. Trotzdem bleibt die Arbeitslosigkeit auf Rekordniveau. Das können wir doch nicht als Leistung anerkennen.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie platzen ja gleich!)

- Herr Kuhn, Sie waren doch damals noch im Landtag. Sie können gar nicht mitreden.

   Damals hat bei Ihnen jede Leistungseinschränkung sofort eine Grundsatzdiskussion über Armut in Deutschland ausgelöst. Jetzt gelten bei Ihnen diese Argumente nicht mehr. Nun ist es an uns, sich der Armen in diesem Lande stärker als bisher anzunehmen. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Union ist die Partei, die die soziale Marktwirtschaft verteidigt, weil Sie mit Ihren Maßnahmen das soziale Gleichgewicht durcheinander bringen.

   Ich frage Sie: Was ist das für eine Leistung, wenn man die Bundesanstalt für Arbeit auf jetzt 90 000 Mitarbeiter aufbläht?

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie sollten nicht von aufblähen reden!)

Was hilft es, die Statistik zu schönen? Herausgekommen sind trotz dieser Veränderungen bei der Statistik nur immer mehr Arbeitslose. Wie wir nun hören und lesen, wollen Sie damit nächstes Jahr weitermachen. Wir werden uns zu gegebener Zeit dazu äußern.

   Die einzig wirkliche Veränderung war die Einführung der Minijobs. Dafür aber haben Sie im Vermittlungsausschuss die Vorgaben von Union und FDP benötigt, um eine wirkliche Wende herbeizuführen. Deswegen, Herr Minister Clement, sollten Sie nicht so arrogant auf das reagieren, was der Kollege Merz gesagt hat. Ein politischer Kompromiss ist immer das Ergebnis politischer Möglichkeiten. Wenn die Union der Meinung ist, dass Deregulierung ein entscheidender Schritt auf dem richtigen Weg ist, dann sollten Sie das nicht einfach oberlehrerhaft wegwischen, sondern dies als Anregung verstehen, über die man ernsthaft verhandeln kann. Nur so kann man zu Kompromissen kommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Dann ist noch einiges zur Bundesanstalt für Arbeit zu sagen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Oh, jetzt wird es teuer!)

Zunächst einmal: Es ist nicht so gewesen, dass der Herr Minister und sein Staatssekretär überrascht wurden. Man hat uns trotz dreimaliger Intervention dreimal abblitzen lassen und uns keine Information gegeben. Wenn gestern in der Zeitung zu lesen war „Clement wundert sich über Gerster“, dann ist die Information falsch.

(Wolfgang Clement, Bundesminister: Richtig!)

Ihr Haus hat alle diese Dinge vorher gewusst. Sie sollten das zugeben und sich nicht davonstehlen,

(Doris Barnett (SPD): Hat er doch gar nicht!)

wie Sie es gerade mit Ihrer Zwischenintervention versucht haben, in der Sie gesagt haben, das habe die Rechtsabteilung geprüft und da diese das für gut empfunden habe, hätten Sie keine Einwände erhoben.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Er hat offensichtlich keine Kenntnis, was in seinem Hause läuft!)

Wir haben bei anderer Gelegenheit - da ging es um ein europäisches Thema - schon einmal feststellen müssen, dass Ihr Haus informiert war, woraufhin schließlich ein Staatssekretär gehen musste.

   Meine Damen und Herren, wenn Sie sich bis jetzt noch nicht über diese Bundesanstalt gewundert haben, dann nehmen Sie noch einige Punkte mit, über die Sie sich künftig noch mehr wundern können. Mir ist ein Inserat der Bundesanstalt für Arbeit in die Hand gefallen. Es ist ordentlich groß; man könnte denken, sie suche einen Generaldirektor. Sie sucht aber einen Universitätsabsolventen, nämlich einen Diplom-Informatiker. Wir haben 4,5 Millionen Arbeitslose. Trotzdem muss die Bundesanstalt für Arbeit eine Agentur einschalten,

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das ist unglaublich!)

die ein Inserat in der Zeitung aufgibt, mit dem ein Diplom-Informatiker gesucht wird. Wo ist die Kompetenz dieser Behörde, in der so etwas vorkommt? Es sind an die 10 000 Euro, die alleine für dieses Inserat ausgegeben werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dafür müssen 300 Beitragszahler ihren Monatsbeitrag abliefern. Ich habe versucht, dies einmal in Gedichtform zu kommentieren: „Bei schlechter politischer Figur beschäftigen wir eine Agentur.“ So kommt mir das vor.

   Der Kollege Kröning hat hier zwar als Berichterstatter im wahrsten Sinne des Wortes Bericht erstattet - insofern möchte ich ihn in Schutz nehmen; auch das muss in einer Haushaltsdebatte noch möglich sein -, nicht aber über den Öffentlichkeitsetat. Lieber Kollege Kröning, warum sind Sie denn eigentlich über diese Position hinweggeglitten? Das ist doch sonst nicht Ihre Art. Wenn unsere Partei betroffen gewesen wäre, hätten Sie eine halbe Stunde darüber referiert und eine Verlängerung der Redezeit verlangt.

(Volker Kröning (SPD): Habe ich klar erwähnt!)

   Dieses Ministerium hat sich im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit einen Mittelaufwuchs von 300 Prozent genehmigt.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Hört! Hört!)

Nur macht man es da etwas anders als die anderen; man sagt einfach: Das Hartz-Konzept erfordert eine eigene Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das gibt es doch nicht!)

Dafür allein werden 15 Millionen Euro im Jahr ausgegeben. Wenn Sie nicht sensibel genug sind, um zu merken, dass das Volk von einer solchen Politik langsam genug hat, dann tun Sie uns Leid. Hören Sie auf, eine solche Politik zu machen, damit die politische Landschaft nicht noch mehr an Vertrauen verliert. Machen Sie mit uns Sachpolitik und versuchen Sie nicht, den abgeplatzten Lack durch zusätzliche Kosmetik zulasten der Steuerzahler zu polieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In dem Sinne hoffe ich, dass Sie nach dem Erlebnis mit Gerster wenigstens in diesem Bereich etwas mehr Sorgfalt walten lassen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Klaus Brandner, SPD-Fraktion.

(Franz Müntefering (SPD): Jetzt kommt wieder etwas Gescheites! - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Die IG Metall muss jetzt auch etwas sagen!)

Klaus Brandner (SPD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten, lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe gerade gedacht, als ich Ihre Rede überstanden hatte: Viele Pfunde am Pult, aber wenig Gewicht.

(Beifall bei der SPD - Dietrich Austermann (CDU/CSU): So viel wiegen Sie doch gar nicht!)

Die wirtschaftliche Lage ist schwierig, das wissen wir, aber unser Minister hat gesagt, wir können sie schultern. Das ist so. Die Opposition diskutiert, als wenn sie die Veränderungen des letzten halben Jahres überhaupt nicht mitbekommen hätte. Merz spricht von schweren Verstimmungen, es wird ihm angst und bange. Dabei ist die Stimmung in diesem Land deutlich besser, als Sie uns glauben machen wollen.

(Beifall bei der SPD)

   Um es deutlich zu sagen: Der Ifo-Index ist vorgestern zum achten Mal in Folge angestiegen. Die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage ist zum zweiten Mal positiv, das heißt: Festigung der konjunkturpolitischen Erwartungen. Auch die realwirtschaftlichen Indikatoren zeigen nach oben. Im dritten Quartal verzeichneten das Bruttoinlandsprodukt ein Plus von 0,2 Prozent und die Auftragseingänge der Industrie ein Plus von 1,2 Prozent. Das zeigt: Deutschland ist auf gutem Weg und wir sollten aus pessimistischen Debatten herauskommen.

   Dass Deutschland auf gutem Weg ist, hat auch der Kanzler in New York zu spüren bekommen, als die Topmanager wichtiger US-Unternehmen ihm verkündeten: Germany is back.

(Beifall bei der SPD - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das ist die anglizistische Form von Patriotismus gewesen!)

Auch die neue Chip-Fabrik in Dresden ist ein gutes Zeichen. Ihr Schlechtreden nutzt dem Lande nicht, sondern schadet eher. Sie führen uns Wirklichkeitsverweigerung vor; mit geschlossenen Augen kann man keine Politik für die Zukunft gestalten.

(Beifall bei der SPD)

   Herr Brüderle bezog sich in diesem Zusammenhang auf die letzten OECD-Studien. Die Ticker meldeten gerade gestern erst: OECD sieht Konjunkturwende, Deutschland vor verhaltenem Aufschwung, Lob für Strukturreformen der Bundesregierung. - Das ist die Wahrheit, Herr Brüderle.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Sagen Sie etwas über das Defizit 2005!)

Weiter heißt es in dieser Meldung:

„Wir glauben, dass die Wende da ist“, sagt OECD-Ökonom Eckhard Wurzel. „Ein Vorziehen der Steuerreform auf das nächste Jahr könnte der Konjunktur ein weiteres Plus bis 0,3 Prozentpunkte bringen.“

Übernehmen Sie endlich Verantwortung, beenden Sie Ihre Blockadepolitik! Damit helfen Sie den Menschen und ganz besonders der Wirtschaft in unserem Land.

(Beifall bei der SPD)

   Für den Mittelstand ist das Vorziehen der Steuerreform ein eminent wichtiger Schritt. Allein der Mittelstand würde in einer wirtschaftlich schwierigen Situation um 10 Milliarden Euro entlastet. Das ist ein klares Signal für weniger Steuern, mehr Investitionen und mehr Beschäftigung. Das muss die Botschaft der Zeit sein.

   Wir müssen mit der Steuerreform dem Mittelstand die Gelegenheit geben, seine Eigenkapitaldecke zu stärken. Das bringt Sicherheit auch in schwierigen Zeiten und wird dazu beitragen, dass die Insolvenzquote in diesem Land deutlich gesenkt werden kann. Ich frage mich, warum Sie die Signale nicht hören: Die Führungskräfte in unserem Land haben sich gestern zu Wort gemeldet und gesagt, sie erwarteten von der Union jetzt endlich ein Einlenken zum Vorziehen der Steuerreform. Recht haben sie; dort versteht man mehr von Wirtschaft als Sie mit Ihrer taktikbezogenen Politik.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die Prognosen der Bundesregierung für das Wirtschaftswachstum 2004 liegen bei 1,7 Prozent. Das ist aus meiner Sicht im unteren Schätzspektrum; internationale Banken gehen von höheren Werten aus. Deshalb können wir zu Recht annehmen, dass Deutschland im nächsten Jahr im Mittelfeld der EU-Wachstumsraten liegen wird.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das war vor einem Jahr genauso und vor zwei und drei Jahren auch!)

   Der Arbeitsmarkt folgt der positiven Entwicklung wie üblich mit Verzögerung. Schon jetzt sind die ersten Signale deutlich zu vernehmen. Im Oktober gab es saisonbereinigt 12 000 Arbeitslose weniger. Das bestätigt, dass die Maßnahmen, die wir durch Hartz I und II auf den Weg gebracht haben, greifen. Diese Zahlen spiegeln sich auch im Haushalt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit wider,

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Waren das die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr?)

in dem zum Beispiel der Bundeszuschuss in Höhe von 7 Milliarden Euro in 2003 auf 5,2 Milliarden Euro in 2004 reduziert wird.

   Die Strukturreformen wirken und weisen auch in der Haushaltsdebatte in die richtige Richtung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Zusammenhang möchte ich einen Dank an unseren Haushälter richten, der zwar nicht so spaßig wie Herr Fuchtel vorgetragen hat, dafür aber sehr konkret war. Ich hatte während seiner sachlich vorgetragenen Rede den Eindruck, dass Sie sich arrogant und dumm gezeigt haben. Ihr Verhalten war jedenfalls aus meiner Sicht jämmerlich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Der ist kein Gewerkschaftler, der ist Oberlehrer! - Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Es ist eine Frechheit, was Sie hier sagen!)

   Nun haben Sie angemahnt: „Ein Jahr Clement, jeden Monat eine neue Reform!“ Wann hat es eigentlich mehr Reformen gegeben als in diesem Jahr, wann sind mehr Reformen auf den Weg gebracht worden?

   Ich habe den Eindruck, Sie haben die Übersicht verloren. Wenn Sie nicht den Reformprozess in wesentlichen Punkten - zum Beispiel das Gesetz zur Novelle im Handwerk und das Kleinunternehmergesetz - blockieren würden,

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Nennen Sie uns wenigstens ein Vorhaben, das überzeugt!)

dann würde die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Jahr noch besser verlaufen, als es bedingt durch die politischen Veränderungen, die durch unsere Politik eingeleitet worden sind, ohnehin der Fall ist.

(Beifall bei der SPD - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das haben Ihnen doch Ihre Gewerkschaftssekretäre aufgeschrieben!)

   Wir wissen, dass wir unser Land nur durch Innovationen nach vorne bringen können. Notwendig ist eine hohe Konzentration auf Innovationen. Trotz aller Sparanstrengungen haben wir die Mittel für Forschung und Entwicklung im Haushalt erhöhen können. Auch Existenzgründer und der Mittelstand werden stärker gefördert als im Vorjahr. Unser Ziel ist es, eine Gründungswelle auszulösen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sie haben nur eine Pleitewelle ausgelöst! Das ist das Problem! - Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Sagen Sie einmal etwas zu den 41 000 Pleiten!)

Wir wollen den Aufbruch hin zu einem stärkeren Unternehmergeist erreichen. In diesem Zusammenhang muss Herr Merz zur Kenntnis nehmen, dass zwar die Beschäftigung auf der Stelle tritt,

(Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Auf der Stelle tritt? 600 000 weniger!)

dass aber die Zahl der Existenzgründungen steigt. Das ist unser Ziel: Wir wollen in diesem Land die wirtschaftliche Dynamik erhöhen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit unterstützen wir die Innovation in der deutschen Wirtschaft.

   Auch mit den Ich-AGs haben wir - wie Sie zu Recht festgestellt haben - sehr erfolgreich Veränderungen auf den Weg gebracht und das Unternehmertum aus kleinen Verhältnissen nach vorne gebracht. Wir haben damit unter anderem das hervorragende Potenzial zur Innovation in unserem Land genutzt, um mehr Beschäftigung zu schaffen, den Verbrauchern mehr und bessere Produkte anbieten zu können und zu einem geringeren Verbrauch von Ressourcen beizutragen. Das muss das Ziel der Innovationspolitik sein.

   Innovationspolitik wird zum Motor der Agenda 2010. Wir können uns auf die Innovationsfähigkeit der Menschen und der Unternehmen in unserem Land verlassen. Dafür haben wir mit unserem Reformprojekt die Weichen gestellt. Die Agenda 2010 sorgt für eine positive Dynamik. Es geht dabei um grundsätzliche Weichenstellungen und weit reichende Umstrukturierungen in den Bereichen Finanzen, Wirtschaft und Arbeit und in den sozialen Sicherungssystemen. Das Ziel ist eine neue Balance zwischen ökonomischer Notwendigkeit, sozialem Zusammenhalt und gesellschaftlichem Aufbruch. Es geht um die Modernisierung unserer Wirtschaft, ohne soziale Gerechtigkeit preiszugeben.

   Die Erfolge von Hartz I und Hartz II - ich habe es bereits angesprochen - sind bereits jetzt deutlich erkennbar: mehr als 200 000 Existenzgründungen mit arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumenten in diesem Jahr! Das ist ein Erfolg, der sich sehen lassen kann.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Auch die Minijobs leisten einen erheblichen Beitrag zur Flexibilisierung, ohne die sozialen Sicherungssysteme zu belasten.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Wer hat die denn beschlossen? Das mussten wir Ihnen doch beibringen!)

- Herr Schauerte, ich habe doch an den Gesprächen in der Arbeitsgruppe teilgenommen. Wir haben dafür gesorgt, dass Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden, damit die Sozialkassen nicht geplündert werden. Sie hingegen haben einen allgemeinen Steuerbeitrag befürwortet. Insofern müssten Sie uns dafür dankbar sein, dass wir im Vermittlungsverfahren diese Position bezogen haben: einfaches Verfahren, Sozialkassen nicht belasten, Flexibilität gewährleisten!

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Wer hat sie denn kaputtgemacht?)

Das ist allenfalls unser gemeinsames Werk, aber Sie können den Erfolg nicht für sich allein beanspruchen.

(Beifall bei der SPD)

   Mit Hartz III und IV runden wir die Reformen ab. Jetzt geht es um das Kernstück, nämlich erhebliche Effizienzsteigerungen, die wir zum Beispiel dadurch erreichen wollen, dass in den Jobcentern die Betreuung aus einer Hand sichergestellt wird. Anstelle von Verschiebebahnhöfen soll es klare Zuständigkeiten und aktivierende Maßnahmen in einer Hand geben. Fördern und Fordern ist unser Prinzip für eine aktivierende Sozialpolitik. Das wollen wir mit Hartz III und IV umsetzen. Dafür muss die Bundesanstalt für Arbeit zu einem modernen und kundenorientierten Dienstleister für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wie auch für die Arbeitgeber umgebaut werden.

   Ich baue darauf, dass die Opposition im Vermittlungsausschuss endlich konstruktiv mitarbeitet. Denn die Gesetze zu Hartz III und IV bringen immerhin einen Effizienzgewinn in Höhe von 5 Milliarden Euro. Wer kann sich einem solchen Effizienzgewinn verweigern?

Ich nenne ein weiteres Stichwort: die Personal-Service-Agenturen, die im Mai/Juni dieses Jahres angelaufen sind. Bis Oktober - also vier bis fünf Monate später - haben 952 Agenturen mit 42 695 Plätzen ihre Tätigkeit aufgenommen. Wer kann denn da von Misserfolg sprechen? Es ist eine beachtliche Leistung, das anvisierte Ziel von 50 000 Plätzen in den Personal-Service-Agenturen in noch nicht einmal einem halben Jahr zu erreichen. Zerreden Sie doch nicht immer die ansonsten positiven arbeitsmarktpolitischen Instrumente, helfen Sie mit, dass sie in der Gesellschaft akzeptiert werden, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Erhebliche Vorteile werden den Kommunen auch dadurch erwachsen, dass sie durch die Hartz-IV-Reform finanziell entlastet werden.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sie werden rund 2 Milliarden weniger haben!)

Wir stehen zu unserem Wort, auch wenn es zu einer anderen als der ursprünglich geplanten Finanzierung kommen kann: Entlastungen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro sollen bei den deutschen Kommunen ankommen.

   Wichtig ist, dass die neuen Bundesländer bei uns nicht hinten runterfallen. Der Schwerpunkt der aktiven Arbeitsmarktpolitik liegt weiterhin eindeutig im Osten. Die Vorschläge des bayerischen Ministerpräsidenten, ABM zu streichen, kommen für uns nicht infrage.

(Beifall bei der SPD)

   Auch Friedrich Merz macht Schnellschüsse, wenn er erhebliche Einsparungen bei der BA fordert. Arbeitsmarktpolitik ist keine Manövriermasse. Das Streichen von ABM bringt übrigens keine Einsparungen von Milliarden, wie es öffentlich dargestellt wird, sondern gerade einmal 100 Millionen. Sofort mehr Geld in Lohnersatzleistungen, Löcher auf der einen Seite zustopfen, auf der anderen Seite aufreißen - das ist keine kontinuierliche Politik und deshalb mit uns auch nicht zu machen.

(Beifall bei der SPD - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das ist doch aber das, was Sie immer machen, Herr Brandner!)

   Die Kommunen wollen wir noch stärker einbinden, und zwar nicht nur rechtlich. Es geht dabei nicht nur um Zusammenarbeit, sondern auch darum, durch die Übernahme finanzieller Verpflichtungen einen Anreiz auch für die Kommunen zu schaffen, aktiv etwas zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu tun.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Ihnen steht das Wasser bis zum Hals! Das ist Ihr Anreiz!)

Das bringen wir im Vermittlungsausschuss auf den Weg. Wir gehen auf die Union zu. Sie haben keinen Grund mehr, sich zu verweigern, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

   Zu der Frage der Arbeitsmarktreform als eines eigenständigen Projekts erinnere ich daran, dass selbst der Sachverständigenrat Ihr politisches Junktim zwischen Steuerreform und Arbeitsmarktreform für abwegig hält. Wo ist der Zusammenhang zwischen Steuerreform, Handwerksordnung und Tarifautonomie? Oder ist Ihr Blockademanöver ein taktisches Manöver? Dann sollten Sie es offen zugeben. Jedenfalls lassen wir Sie damit nicht einfach durchkommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Brandner, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Klaus Brandner (SPD):

Ich komme zum Schluss.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sie sind am Ende! - Dietrich Austermann (CDU/CSU): Herr Brandner, Sie haben hier geschwindelt, was die OECD anbetrifft!)

   Für taktische Manöver im Rahmen der Tarifautonomie haben wir in der Tat keinen Raum. Wir sind dankbar, dass der zuständige Minister hierzu eine klare Aussage im Parlament gemacht hat. Dies zeigt, dass sich unsere Fraktion zu diesem Thema politisch eindeutig verhält.

   Mein Fazit: Deutschland ist auf dem Weg nach vorn. Dies wird durch die konjunkturellen Daten und durch die Wissenschaft belegt. Internationale Institute loben die Reformpolitik. Alle Indikatoren zeigen nach oben. Das Boot nimmt wieder Fahrt auf. Wir dürfen nicht über die geflickten Löcher lamentieren, sondern sollten uns über die neuen, besseren Segel freuen, die wir durch die Reformpolitik gesetzt haben. Wir haben im Vermittlungsausschuss die Verantwortung und bitten Sie, sie auch wahrzunehmen. Nehmen Sie sie gemeinsam mit uns wahr, damit Deutschland im Reformprozess wieder nach vorne kommt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (fraktionslos):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die PDS im Bundestag gehören die Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftspolitik zu den zentralen aktuellen Politikbereichen. Dies sind zugleich die Themen, die neben der Friedensfrage nahezu jeden bewegen und sehr viele Menschen betreffen. Jüngst war ich in Erfurt, Thüringen. Dort ist jeder Fünfte arbeitslos und nicht wenige sind inzwischen hoffnungslos. Dasselbe habe ich in Bremerhaven erlebt. Saarländer schreiben mir und auch aus Bayern habe ich in dieser Woche solche Notrufe bekommen.

   Ich stelle dies voran, damit wir hier nicht nur Haushaltstitel deklinieren, die außerhalb des Bundestages niemand versteht. Wir reden hier über mehr als 4 Millionen Arbeitslose. Wir sprechen über Tausende von Jugendlichen ohne Lehrstelle. Wir diskutieren über Wege aus der Ungerechtigkeit; jedenfalls ist das der Anspruch der PDS.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Ich weiß sehr wohl, dass ich hier gegen eine große Mehrheit rede. Die Opposition zur Rechten liegt im Streit mit sich selbst. Sie sucht ihren Superstar. Merkel, Stoiber, Koch oder Merz? Mit sozialer Gerechtigkeit hat das, was Sie aufführen, nichts zu tun. Allerdings lauert dahinter die Frage: Wie verdeckt oder offen lässt sich der Sozialstaat entsorgen? Frau Merkel steht für die verdeckte Variante, Herr Koch für die brutale und Herr Stoiber für die egoistische. Der Rest des ganzen Spektakels ist Parteitaktik. Sie hilft aber niemandem ohne Arbeit oder ohne Lehrstelle.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Früher bot die SPD dazu das Kontrastprogramm. Nun hat sie aber in Bochum getagt und grünes Licht für die Agenda 2010 gegeben, die unsozial und auch ungerecht ist. Es war - leider - nichts anderes zu erwarten. Spannend war für mich nur das Rahmenprogramm des SPD-Parteitages in Bochum. „Das Wichtige tun“ hieß die Parteitagslosung. So habe ich immerhin gelernt: Die SPD versteht sich als Partei der Wichtigtuer.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Dann wurde auf diesem Parteitag auch gewählt. Wer die Agenda 2010 verbrochen hatte, wurde bestraft, wer dagegen war, ebenso. Zum Schluss wurde auch noch gesungen. Etwas kläglich, aber drohend kündigten Sie an: Mit uns zieht die neue Zeit!

   Der Kardinalfehler der Agenda 2010 ist: Sie machen 4 Millionen Arbeitslose dafür verantwortlich, dass es 4 Millionen Arbeitslose gibt. Das Wesen Ihrer Agenda besteht darin, die Betroffenen zu ermitteln, anzuklagen und abzustrafen. Arbeitslosen wird die Hilfe gekappt. Kranke werden abkassiert. Alten wird die Rente gekürzt. „Damit machen wir“ - so meinte der Bundeskanzler in der gestrigen Debatte - „Ressourcen frei für wesentliche Zukunftsaufgaben.“ Mir fällt dabei das Märchen vom Kaiser mit den neuen Kleidern ein, die kein anderer sehen kann.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Die PDS im Bundestag hat nie behauptet, sie habe den Stein der Weisen gefunden. Wir haben immer gesagt: Es muss grundlegende Reformen geben. Das haben wir übrigens schon gesagt, als sich die offizielle Altbundesrepublik noch für den letzten Schluss aller Geschichte hielt. Bereits damals war die Arbeitslosigkeit extrem hoch und die Staatsverschuldung mehr als bedenklich. Auch andere Fragen, etwa die demographische Entwicklung, drängten längst. Dass die Arbeitswelt im 21. Jahrhundert anders sein wird als im 19. Jahrhundert, wusste - mit Verlaub - schon Karl Marx. Insofern wünsche ich mir, dass er morgen im ZDF zum „besten Deutschen“ gewählt wird.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Die eigentliche Frage ist also nicht, ob etwas verändert werden muss. Die spannende Frage ist vielmehr, welchem Ziel die Reformen dienen sollen. Ihre Reformen brechen mit den guten sozialdemokratischen Werten wie Solidarität und Gerechtigkeit. Das Schlimme ist, dass Sie das wissen. Es ist doch kein Zufall, wenn die Bundesanstalt für Arbeit Millionen für PR-Arbeit zum Fenster hinauswirft. Die Bundesregierung macht doch nichts anderes. Sie lässt landauf, landab Großplakate kleben, um die Agenda 2010 schönzumalen. Keine Bürgerin und kein Bürger hat sie bestellt. Aber alle müssen sie bezahlen, und zwar sowohl die Plakate als auch die Agenda 2010.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Geradezu obszön wird es, wenn die neuen Bundesländer zum gelobten Land gekürt werden. Allein der Glaube, mehr Billigjobs seien gut gegen die Arbeitslosigkeit, ist absurd. Der Osten ist bereits ein Billiglohnland. Die Forderungen nach längeren Arbeitszeiten werden immer lauter. Aber im Osten wird schon länger gearbeitet. Sie fordern außerdem eine Lockerung des Tarifrechts. Im Osten ist es bereits so locker wie nirgendwo sonst in Deutschland. All diese Heilslehren werden in den neuen Bundesländern also längst praktiziert. Die neuen Bundesländer belegen aber beispielhaft: Diese Heilslehren machen nicht gesünder, sondern kränker. Deshalb lehnt die PDS im Bundestag die Agenda 2010 ab.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Hinzu kommt: Arbeitsbeschaffungs- sowie Ausbildungsmaßnahmen sollen abgebaut und Fördermittel gekürzt werden. Das verschärft die Lage auf dem Arbeitsmarkt und der strukturschwachen Regionen.

   Fazit: Die PDS im Bundestag wird auch diesen Teil des Haushaltes ablehnen müssen.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Kurt Rossmanith, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland erlebt eine sehr negative und schlimme Woche:

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das stimmt! Leider wahr!)

Wahrscheinlich wird der Bundestag diese Haushaltsvorlage heute in zweiter und morgen in dritter Lesung verabschieden und damit einen Verfassungsbruch begehen. Dazu kommt das, was Bundesminister Eichel in Brüssel Europa und unserem Land, Deutschland, angetan hat. Holger Steltzner hat dies vorgestern in der „FAZ“ zu Recht mit den Worten „Verspielen des letzten Vertrauens“ betitelt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir erleben dergleichen praktisch seit 1998 - also seit Jahren -, als man angetreten ist, ganz Deutschland neu zu gestalten. Thomas Wels schreibt in der „Rheinischen Post“: „Deutschland zertrümmert den Euro“ und „Deutschlands Verhalten ist ein Skandal“. Leider Gottes muss ich sagen: Beide, Steltzner und Wels, haben Recht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Die Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder hangelt sich von einer Unwahrheit zur nächsten. Zahlen werden erst einmal geschönt; wenn die Fakten dann auf dem Tisch liegen, wird das, was man vorher präsentiert hat, in immer kürzeren Intervallen als Lüge entlarvt.

   Herr Kollege Klaus Brandner, vor dem Mut, den Sie hier gezeigt haben, muss man fast Respekt haben.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das war Dreistigkeit!)

- Ich wollte es nicht ganz so drastisch sagen; aber an sich müsste man es so formulieren. - Sie haben nämlich gesagt, die OECD verlange von uns, die Steuersenkung vorzuziehen. Vielleicht hatten Sie heute noch nicht die Möglichkeit, die Zeitung zu lesen; das sehe ich Ihnen nach. Allerdings ging schon gestern über den Ticker, dass die OECD vor einer Steuersenkung auf Pump - etwas anderes fällt Ihnen ja nicht ein - warnt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sehr wahr! - Dietrich Austermann (CDU/CSU): Dann hat er ja gelogen, der Brandner! Der läuft ja auf der Schädeldecke!)

Sie schwadronieren von diesem und jenem. Was machen Sie? - Pump, Pump, Pump und noch einmal mehr Schulden.

   Ein weiterer Beweis dafür, dass Lügen kurze Beine haben, ist Folgendes: Als diese Bundesregierung am 2. Juli dieses Jahres den Haushaltsentwurf für das Jahr 2004 beschlossen hat, wurde noch großspurig verkündet, das Wirtschaftswachstum im Jahr 2003 liege bei 1 Prozent und im Jahr 2004 bei 2,5 Prozent. Das Herbstgutachten, das vor wenigen Wochen veröffentlicht wurde - seit dem 2. Juli waren kaum mehr als drei Monate vergangen -, besagt, Herr Bundeswirtschaftsminister, dass das Wirtschaftswachstum dieses Jahres bei 0 Prozent und im kommenden Jahr, 2004, bei maximal 1,7 Prozent liegen wird. Man muss wissen, dass 0,5 Prozentpunkte bis 0,6 Prozentpunkte dieser 1,7 Prozent Wachstum dadurch zustande kommen, dass im Jahr 2004 mehr Feiertage auf das Wochenende fallen werden.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Rossmanith, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brandner?

Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU):

Aber selbstverständlich, sehr gern. Ich habe gar nicht gesehen, dass er eine Zwischenfrage stellen möchte.

Klaus Brandner (SPD):

Sie haben gerade davon gesprochen, dass Lügen verbreitet werden. Die AP schreibt am 26. November 2003 - wollen Sie das bestreiten? -:

Die OECD sieht Deutschland vor einem verhaltenen Aufschwung und hat die Bundesregierung zu weiteren Strukturreformen ermuntert.

Diese Reformen nehmen wir gerade vor. Etwas weiter unten heißt es:

„Wir glauben, dass die Wende da ist“, sagte OECD-Ökonom Eckhard Wurzel. Ein Vorziehen der Steuerreform auf nächstes Jahr könne der Konjunktur ein weiteres Plus bis 0,3 Prozentpunkten bringen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Weiterlesen!)

- Im Weiteren ist zu lesen, dass der Reformprozess, den die Bundesregierung in Angriff genommen hat, richtig ist, dass aber noch weitere Anstrengungen notwendig sind, beispielsweise zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit. - Alles das sind Maßnahmen, die in der Rentengesetzgebung jetzt ganz konkret angegangen werden.

   Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Erstens. Wollen Sie unterstellen, dass ich Lügen vorgetragen habe? Zweitens. Wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass die OECD davon ausgeht, dass das Vorziehen der Steuerreform dringend notwendig ist, um mehr wirtschaftliches Wachstum in diesem Land zu erzeugen?

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU):

Herr Kollege Brandner, ich bleibe bei meiner Aussage;

(Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nicht lernfähig!)

denn ich habe Ihnen ja zugehört. Sie haben gesagt: Die OECD verlangt von Deutschland, die Steuerreform vorzuziehen. - Das ist falsch.

   Heute steht dazu etwas in der „Welt“. Gestern ist es im Wortlaut über den Ticker gelaufen- ich zitiere-: Die OECD warnt vor Steuersenkung auf Pump.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Ja!)

Geplante Entlastung kann Wachstum nur um 0,25Prozentpunkte steigern. Subventionsabbau geboten. - Das ist wieder ein Beispiel für das, was Sie ständig vorführen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Um wahr zu sprechen, muss man die ganze Wahrheit sagen und darf nicht selektiv nur irgendeinen Satz herausziehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir müssen Ihnen vorwerfen, dass Sie nur immer Sätze zitieren, aber nicht den Gesamtzusammenhang darstellen. Damit vermitteln Sie nach außen das Bild, dass Sie handlungsfähig und handlungswillig sind. Sie haben ja auch vorhin gesagt: Wir wollen dies, wir wollen dies, wir wollen dies.

(Klaus Brandner (SPD): Wir machen das auch!)

Tatsächlich muss man aber den Eindruck haben, dass Sie sich- Herr Brandner, damit meine ich Ihre Partei, nicht Sie persönlich- der 4,5MillionenArbeitslosen mehr oder weniger überhaupt nicht annehmen, dass Sie sich für sie mehr oder weniger gar nicht interessieren. Die Maßnahmen, die notwendig wären, um den Arbeitsplatzabbau zu stoppen, um wieder mehr Beschäftigung zu schaffen, um wieder Menschen in Arbeit und Brot zu bringen, werden nicht getroffen. Es geht dabei nicht allein um die, die jetzt im Arbeitsprozess sind, auch wenn die ebenfalls Angst um ihren Arbeitsplatz haben, sondern um die 4,5MillionenArbeitslosen, die wieder eine Beschäftigung brauchen. Um diese Menschen müssen wir uns genauso sorgen, vielleicht noch mehr als um jemanden, der einen sicheren Arbeitsplatz als Präsident irgendeiner riesigen Anstalt mit 80000Mitarbeitern hat.

(Beifall bei der CDU/CSU- Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sehr gute Antwort!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Rossmanith, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, nämlich des Kollegen Brüderle?

Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU):

Aber selbstverständlich, Herr Kollege.

Rainer Brüderle (FDP):

Kollege Rossmanith, sind Sie bereit, mir darin zuzustimmen, dass diese OECD-Studie, auf die sich Herr Brandner beruft, noch ganz andere markante Sätze beinhaltet? Ich zitiere einmal: Der Chefökonom der OECD warnt vor überzogenen Erwartungen. Wurzel bezweifelt etwa, dass das Vorziehen der Steuersenkung 2004 einen positiven konjunkturellen Effekt hat, wenn sie nicht voll durch Ausgabenkürzungen, etwa Subventionsabbau, kompensiert wird.

(Beifall der Abg. Gudrun Kopp (FDP))

Hundertprozentige Kompensation durch Ausgabenkürzung ist also die Forderung der OECD. Das unterschlagen Sie!

   Es heißt da weiter: Für einen nachhaltigen Aufschwung braucht Deutschland nach Ansicht der OECD - alles wörtliches Zitat - eine dauerhafte Stärkung der Binnennachfrage. - Sie haben gehört, was Herr Clement dazu gesagt hat. - Dafür seien die Reformen unerlässlich und müssten unbedingt weitergeführt werden, auf dem Arbeitsmarkt wie bei der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung.

   Damit, Herr Kollege, wird durch Herrn Brandner doch ein völlig falscher Eindruck erweckt; er will von der wahren Lage ablenken. Kommen Sie doch endlich in der Realität an!

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Brüderle, haben Sie eine Frage an Herrn Rossmanith gestellt?

(Rainer Brüderle (FDP): Ja, natürlich die, ob er das teilt!)

Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU):

Frau Präsidentin, ich habe die Frage sehr wohl verstanden.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich bin dem Kollegen sehr dankbar dafür, dass er es mir abgenommen hat, weite Teile der OECD-Studie vorzulesen. Ich wollte die Debatte hier nicht unnötig verlängern.

   Herr Kollege Rainer Brüderle, ich kann Ihnen uneingeschränkt zustimmen. Genau das ist es, was ich dem Kollegen Klaus Brandner und vielen seiner Parteigenossinnen und Parteigenossen vorwerfe, nämlich dass sie eine Politik der Beliebigkeit betreiben, dass sie sich Studien immer zurechtbiegen,

(Klaus Brandner (SPD): Bleibe bei der Wahrheit, Rossmanith!)

so wie sich der Herr Bundesminister Eichel den Haushalt so zurechtbiegt, wie er ihn gerade haben will. Wir können dann im Januar sofort am Nachtragshaushalt für das Jahr 2004 zu arbeiten beginnen. Diesen Haushalt jetzt in zweiter und morgen in dritter Lesung zu beschließen ist geradezu hanebüchen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Eine gute Antwort!)

Wer sich damit befasst, der müsste über dieses Parlament lachen. In dieser Debatte deutlich zu machen, was insbesondere Bundeskanzler Schröder von sich gibt, der sich gleichsam als neuer Ludwig XIV. aufführt und nach dem Motto „Der Staat bin ich“ handelt, entspricht ja auch unserem Auftrag.

(Ute Kumpf (SPD): Was?)

Ihn interessieren ja kaum seine Regierungskollegen und noch viel weniger das Parlament.

   Frau Präsidentin, ich bin noch bei der Antwort auf die Frage des Kollegen Brüderle, doch Sie haben mir jetzt eine ganze Minute abgezogen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nein, Herr Kollege Rossmanith, nicht die ganze Minute. Da Sie jetzt nicht mehr konkret auf die Frage antworten, habe ich die Redezeit weiterlaufen lassen. Da kann der Kollege Brüderle ruhig die ganze Debatte stehen bleiben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU):

Liebe Frau Präsidentin, Sie sind mir lieb und teuer. Ich mag Sie persönlich auch sehr. Ich kritisiere Sie nicht, möchte aber feststellen, dass ich noch bei der Antwort war. Ich sage damit nur, was ich getan habe. - Ich danke Ihnen, Herr Brüderle, noch einmal sehr herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Kollege Brandner, erinnern Sie sich noch an den Wahlkampf 2002? Sie haben eine geradezu kultische Weihehandlung im Deutschen Dom am Gendarmenmarkt vollzogen, als Sie das Hartz-Konzept vorstellten. Ich habe mich gewundert, dass so viele Medien darauf hereingefallen sind und dabei mitgemacht haben. Denn was kam heraus? - Nichts. Von einer Eins-zu-eins-Umsetzung von Hartz spricht keiner mehr.

(Ute Kumpf (SPD): Das ist längst erledigt! Warum sollten wir noch darüber sprechen?)

Ich möchte hier Bundesminister Clement fast etwas in Schutz nehmen. Er bemüht sich ja ernsthaft. Zwar schafft er außer Ankündigungen auch nichts, doch seinen Genossen geht es selbst noch zu weit, dass er überhaupt Ankündigungen macht. Denn wie verfahren sie mit ihm? Auf dem Parteitag in Bochum straften sie ihn ab. 44 Prozent der Parteigenossen sagten Nein zu dem eigenen amtierenden Wirtschaftsminister.

(Ute Kumpf (SPD): Wie lernt man denn in Bayern das Rechnen, Kollege Rossmanith?)

Man muss sich wohl wirklich Gedanken darüber machen, welche Stellung er noch in dieser Regierung und in dieser Partei hat, die er mitvertreten soll.

   Der Haushaltsansatz Ihres Hauses, der am 2. Juli beschlossen wurde - der Kollege Fuchtel ist ja schon darauf eingegangen -, betrug 25 Milliarden Euro. Dann wurden so einfach mir nichts, dir nichts 8 Milliarden hinzugefügt. Jetzt haben wir fast 33 Milliarden - ein enormer Zuwachs innerhalb von ganz wenigen Wochen.

   Auch der Kanzler nimmt Sie überhaupt nicht mehr ernst. Ich habe vorhin gesagt, dass er sich wie ein zweiter Ludwig XIV. verhält und nach dem Motto „Der Staat bin ich“ verfährt. Er schüttelt nämlich am Steinkohletag einfach so 16 Milliarden Euro aus dem Ärmel und sagt sie dem Steinkohlebergbau zu. Das sind über 31 Milliarden Deutsche Mark, um das auch noch einmal in der alten Währung zu sagen. Damit sollen 20 000 Arbeitsplätze gesichert werden. Es wird niemand gefragt, weder Sie noch das Parlament, das ja dies beschließen muss und dafür auch Verantwortung trägt. Es ist keine Vereinbarung oder irgendetwas anderes beschlossen worden; es liegt noch nichts auf dem Tisch, aber der Genosse der Bosse sagt schlicht und einfach schnell 16 Milliarden Euro zu.

   Zugleich nimmt er dem Mittelstand die Luft weg. Der Kreditversicherer Euler Hermes rechnet für das kommende Jahr - dazu haben Sie überhaupt nichts gesagt, Herr Bundesminister Clement - mit 43 000 Insolvenzen. Wir haben in diesem Jahr schon netto 600 000 Arbeitsplätze verloren. Das interessiert Sie bzw. diesen Bundeskanzler aber überhaupt nicht.

   Für vieles andere haben Sie aber Geld. Ich will nur ein kleines Beispiel nennen; Sie mögen es als Petitesse abtun, aber 200 000 Euro sind immerhin auch schon etwas; dafür kann man sich durchaus ein kleines Häuschen hinstellen.

(Ute Kumpf (SPD): Ein kleines Häuschen? Ei!)

- Bei mir im Allgäu ist das halt so. Da sind die Grundstückpreise etwas höher.

(Ute Kumpf (SPD): Was? - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Beim Allgäu werde ich allergisch!)

- Und die Allgäuer werden allergisch, wenn Sie kommen, Herr Kuhn.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vorsicht! Ich bin aus dem Allgäu!)

Deshalb bleiben Sie lieber weg und verschonen Sie uns mit Ihrer politischen Anwesenheit.

(Zurufe von der SPD: Oh! - Ute Kumpf (SPD): Das ist aber kein guter Stil! - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Na ja, aus Kaufbeuren ist er!)

   Die Grünen stellen einen Antrag auf 200 000 Euro für nachhaltigen Tourismus. Die Frage, was das eigentlich sein solle, konnte niemand beantworten. Allerdings wurde dann erklärt, man wisse, wer wisse, was nachhaltiger Tourismus sei. Aber beschlossen musste es werden.

   Dass es bei der Gemeinschaftsaufgabe etwas Bewegung gegeben hat, will ich positiv erwähnen, lieber Kollege Kröning. Auch die Wettbewerbshilfe für die Schiffswerften ist ein wesentlicher Punkt. Ebenso will ich die Luftfahrtförderung positiv erwähnen, auch wenn es mehr hätte sein können. Sie wird ja gegenüber den vergangenen Jahren leicht zurückgefahren.

   Herr Bundesminister Clement, Sie haben den Export angesprochen. Weltweit steigt der Export um 7,4 Prozent. Bei uns wird die Steigerung deutlich unter der 5-Prozent-Marke liegen. Das heißt, auch hier sind wir mehr oder weniger im Minus, und das in einem Bereich, der uns noch einigermaßen über Wasser gehalten hat.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, auch Sie sind deutlich im Minus.

Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU):

Mein letzter Satz, Frau Präsidentin.

   Der Kollege Müntefering - er ist im Moment nicht da - hat gestern gesagt, Deutschland solle wieder der Wirtschaftsmotor Europas werden.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Letzter Satz“! Das ist doch kein Satz!)

Immerhin erkennt er damit an, dass wir im Moment die Letzten in Europa sind und alles tun müssen, um wieder in die Spitzenklasse Europas zu gelangen.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt reicht es!)

Dazu ist es notwendig, eine verantwortungsvolle Politik zu gestalten. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass diese Bundesregierung ihre Arbeit schleunigst beendet.

   Wir müssen den Einzelplan 09 zu unserem großen Bedauern ablehnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Ernst Hinsken, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Klaus Brandner (SPD): Überziehen Sie jetzt nicht! Denken Sie daran: Wir wollen uns einigen!)

Ernst Hinsken (CDU/CSU):

Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ein wesentlicher Teil der heutigen Debatte und der Abstimmungen ist dem Handwerksrecht gewidmet. Deshalb möchte ich mich insbesondere der Novelle der Handwerksordnung zuwenden; denn kein anderes Thema hat das Handwerk in den letzten Wochen und Monaten mehr beschäftigt als die Novellierung dieses Gesetzes.

   Die Änderung der Handwerksordnung ist derzeit in vieler Munde, besonders in Handwerkskreisen. Noch nie ist in den Medien so viel Unfug über die Rolle des Handwerks und über das Handwerk als Wirtschaftsgruppe in Wort, Schrift und Bild publiziert worden wie in den letzten Wochen.

   Eines möchte ich in aller Deutlichkeit gleich eingangs feststellen: Wir von der CDU/CSU sehen auch beim Handwerksrecht dringenden Handlungsbedarf. Aber wir wollen gemeinsam mit dem Handwerk eine Änderung der Handwerksordnung herbeiführen, die die Selbstständigkeit fördert, den Zugang zum Handwerk europatauglich macht, die Ausbildung sichert, die Verbraucher schützt und die Qualität in den Vordergrund stellt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir wollen eine Modernisierung der Handwerksordnung mit Verstand, Maß und Ziel, Herr Minister Clement. Qualität, Flexibilität und Nachhaltigkeit wollen wir gleichermaßen sichern. Wir wenden uns deshalb massiv gegen einen Kahlschlag in der Handwerksordnung. Denn was Sie von Rot-Grün und von der Bundesregierung planen, sind in der Tat keine Nadelstiche mehr, sondern Dolchstöße, die für das Handwerk lebensgefährlich sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der Regierungsentwurf zur Änderung der Handwerksordnung ist wahrlich keine Meisterleistung, sondern ein ausgemachter Pfusch. Ich werde den Eindruck nicht los, dass Sie damit Ihren eigenen Pfusch zum Standard erklären möchten. Ein Blick auf die LKW-Maut und das Dosenpfand zeigen dies ganz deutlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Jetzt ist die Handwerksordnung dran. Meine Damen und Herren, hierzu gibt es nur ein Fazit: Diese Bundesregierung denkt nichts richtig an, denkt nichts richtig durch, denkt auch nicht richtig zu Ende und denkt schon gar nicht an die Folgen. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, Sie machen schon beim Denken Denkfehler.

(Lachen bei der SPD)

Sie, meine Damen und Herren, sind selbst die Fehler, die wir in der Bundesrepublik Deutschland zu verzeichnen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Verehrte Kolleginnen und Kollegen, eine richtige Handwerksreform - ja. Ein europafester Meisterbrief - auch ja. Viele wettbewerbsfähige Betriebe - ebenso ja. Goldener Boden für das Handwerk, wie es früher hieß - auch ja. Aber das Kind mit dem Bade ausschütten und den Meistertitel über Bord werfen - grundsätzlich nein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Meine Damen und Herren, im nächsten Jahr ist mit 43 000 Firmenpleiten mit einem neuen Pleitenrekord beim Mittelstand zu rechnen. Darunter sind über 10 000 Handwerksbetriebe. Das ist katastrophal. Die Bundesregierung verschließt davor die Augen. Diese 43 000 Betriebe können auch nicht mehr ausbilden. Dadurch sind wiederum 80 000 Ausbildungsplätze flöten gegangen, wie mir Kollege Feibel noch einmal sagte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Leider, leider wahr! - Klaus Brandner (SPD): Nur 30 Prozent bilden aus!)

Die Bundesregierung nimmt das einfach nicht zur Kenntnis. Wenn Mittelständler, die vor Jahren noch zwölf Beschäftigte hatten, nunmehr nur noch zwei haben, dann ist Feuer auf dem Dach. Der deutsche Mittelstand ist nach über fünf Jahren Rot-Grün völlig ausgeblutet und steht mit dem Rücken zur Wand. Jetzt geraten auch gestandene Firmen, die sich zum Teil jahrzehntelang im harten Wettbewerb bewährt haben, in den Abwärtssog. Seit Jahren sinkt die Eigenkapitalquote, die jetzt bei nur noch 17 Prozent und bei kleineren Betrieben bei sage und schreibe nur noch 6 Prozent liegt. Das ist das Problem, das unsere Betriebe haben und das unsere Wirtschaft hat, nicht die Handwerksordnung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

   Meine Damen und Herren, Bundeskanzler Schröder wäre gut beraten, den Mittelstand und das Handwerks so ins Herz zu schließen, wie er das bei Holzmann, bei Babcock und bei Mobilcom getan hat. Beim Mittelstand hätte er zumindest mehr Erfolg. Aber leider redet man über den Mittelstand nur und tut für ihn zu guter Letzt nichts.

   Lassen Sie mich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, auf die aktuelle Lage bei der Novellierung der Handwerksordnung eingehen. Dabei geht es um das Gesetz zu den Ich-AGs und die große Novelle zur Handwerksordnung. Beide Gesetze müssen in einem engen Gesamtzusammenhang betrachtet werden. Deshalb begrüße ich, Herr Minister Clement, dass man bereit ist, die beiden Gesetze, zum einen die Handwerksordnung und zum anderen das Kleinunternehmergesetz, zusammen im Vermittlungsausschuss zu beraten. Ich gehe davon aus, dass hier vernünftige Grundlagen geschaffen werden, die dem Handwerk das Leben nicht erschweren, sondern ihm das Leben erleichtern, damit die Betriebe in Zukunft besser über die Runden kommen.

   Ich meine, dass gerade bei den Ich-AGs darauf verwiesen werden muss, dass sie bei weitem nicht das in sich bergen, was vielfach behauptet wird. Herr Minister Clement, ich prophezeie Ihnen, dass wir im kommenden Jahr Tausende und Abertausende von Ich-AGs bekommen werden, aber ich prophezeie Ihnen in diesem Zusammenhang auch, dass sie in drei Jahren, wenn sie staatlich nicht mehr subventioniert werden, wenn sie Steuern zahlen müssen und verschiedene andere Belastungen wie die Normalbetriebe zu tragen haben, genauso schnell wieder von der Bildfläche verschwinden, wie sie jetzt ins Leben gerufen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich frage Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Wie soll zum Beispiel ein Friseur- oder ein Steinmetzmeister animiert werden, mehr Lehrlinge auszubilden, wenn er weiß, dass diese nach der Ausbildung als Ich-AGler seine größten Konkurrenten werden? Sie brauchen keine Meisterprüfung mehr, werden dafür aber noch durch den Staat subventioniert.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Quatsch! Unsinn!)

Damit wird das Handwerksrecht systematisch durch die Hintertür ausgehöhlt. Deshalb müssen die Ich-AGs auf den Bereich der bisherigen Anlage B beschränkt werden. Bei in Anlage A befindlichen Berufen darf es keine einfachen Tätigkeiten in Teilbereichen geben. Denn, Herr Minister Clement: Wie wollen Sie diese Teilbereiche überhaupt abgrenzen? Wie wollen Sie überprüfen, ob solche Arbeiten, die in Zukunft nach drei Monaten ausgeführt werden dürfen, erlernt wurden und das Erlernte ausreicht?

(Wolfgang Clement, Bundesminister: Ihr wollt doch nachprüfen!)

   Zudem ist klarzustellen, dass die Gewerke des Handwerks nicht atomisiert werden dürfen. Es ist deshalb ein Kumulationsverbot bei den einfachen Tätigkeiten erforderlich. Wenn die Position des Handwerks durch die Ich-AG systematisch untergraben wird, dann ist die gesamte HwO-Novelle nur noch eine Farce. Unsere Devise lautet immer: Nicht gegen, sondern mit dem Handwerk wollen wir den modernen, dynamischen, zukunftstauglichen und europafesten Meister schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Brüderle (FDP) - Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Wir brauchen das Handwerk!)

   Ich möchte an dieser Stelle noch einige wenige wichtige Punkte ansprechen. Der Vorschlag der Bundesregierung, für eine Einstufung in die Anlage A nur das Kriterium „Gefahrengeneigtheit“ heranzuziehen, bedeutet die Abschaffung des Meisterbriefs und das Ende seiner einzigartigen Erfolgsgeschichte. Zudem wird einer der bedeutendsten Ausbildungsmotoren unserer Wirtschaft brutal abgewürgt und das duale System, um das uns die ganze Welt beneidet, völlig an die Wand gefahren. Das machen wir nicht mit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Brüderle (FDP))

   Für die Union ist es deshalb unverzichtbar, weitere Kriterien für die Einstufung der Gewerke in die Anlage A zuzulassen. An erster Stelle sind hier zusätzlich die Ausbildungsleistung und der Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter zu nennen. - Herr Kollege Brüderle, ich bedanke mich, dass Ihre Ausführungen in die gleiche Richtung gingen. - Nur damit ist das Handwerk auch weiterhin noch in der Lage, die dringend benötigten Ausbildungsplätze für unsere Jugendlichen anzubieten.

   Wir dürfen doch nicht übersehen, dass das Handwerk derzeit rund 527 000 jungen Menschen den Einstieg in ihre berufliche Zukunft bietet. Das Handwerk ist der Ausbildungsmotor Nummer eins in der Bundesrepublik Deutschland. Dafür sollten wir dankbar sein. Wir sollten aber nicht das Handwerk bestrafen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich fordere Sie, verehrter Herr Bundesminister Clement, und ebenso die Fraktionen von SPD und Grünen auf, im Interesse der Ausbildung unserer Jugend den hier eingeschlagenen falschen Weg zu verlassen und umzukehren. Noch ist es nicht zu spät. Mit einem Kahlschlag bei den Meisterberufen, wie er bisher von Rot-Grün geplant ist, wird sich die wirtschaftliche Talfahrt Deutschlands weiter beschleunigen. Wer glaubt, nach einer Zerstörung handwerklicher Strukturen werde es ein höheres Wirtschaftswachstum geben, der ist völlig auf dem Holzweg.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das stimmt!)

   Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen, an dem sich die Bundesregierung wirtschaftspolitisch gesehen verrennt. Es geht um die vorgesehene Sonderregelung für Altgesellen, die sich nach zehnjähriger Berufserfahrung und fünfjähriger Tätigkeit in herausgehobener, verantwortlicher oder leitender Stellung auch ohne Meisterbrief in Gewerken der Anlage A selbstständig machen dürfen.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was spricht dagegen? Es ist doch gut!)

Im Interesse des Erhalts und des Ausbaus der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Ausbildungsfähigkeit der Handwerksbetriebe kann nicht auf die Forderung verzichtet werden - das ist der entscheidende Punkt, Herr Kollege Kuhn -, dass ein solcher Geselle, der die Voraussetzungen erfüllt, wenigstens den Nachweis erbringen muss, dass er etwas von Ausbildung und von Betriebsleitung versteht.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, schauen Sie bitte einmal auf die Uhr. Sie haben Ihre Redezeit deutlich überzogen.

Ernst Hinsken (CDU/CSU):

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dieser Gesetzentwurf, eingebracht von der Bundesregierung, kann unter keinen Umständen unsere Unterstützung finden.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Keine Ahnung!)

Wir werden im Vermittlungsausschuss versuchen, dass die Regierenden - momentan sind es die Roten und die Grünen -, die in diesem Gremium sitzen, auf den Pfad der Tugend zurückgeführt werden -

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, Sie sprechen auf Kosten Ihres Fraktionskollegen, der nach Ihnen noch spricht.

Ernst Hinsken (CDU/CSU):

- und dass somit sichergestellt wird, dass sich das Handwerk weiterhin behaupten kann.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nur Lobbyismus!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Christian Lange, SPD-Fraktion.

Christian Lange (Backnang) (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist kein Zufall, dass wir heute über den Haushalt des Bundeswirtschaftsministers sprechen und dass gleichzeitig die zweite und dritte Lesung der Novelle zur Handwerksordnung auf der Tagesordnung steht. Im Mittelpunkt muss dabei stehen: Was kann die aufkeimenden konjunkturellen Besserungen unterstützen und was nicht? Verehrter Herr Kollege Hinsken, was das Handwerk noch mehr umtreibt als die Handwerksordnung, ist die Frage: Wie können wir die Binnenkonjunktur in Deutschland ankurbeln, damit es mehr Aufträge für das Handwerk gibt?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Meine Damen und Herren von der Opposition, Herr Hinsken, wenn Sie schon den Wirtschaftsinstituten nicht glauben, dann sollten Sie zumindest dem Zentralverband des Deutschen Handwerks glauben. Lassen Sie mich deshalb eine Presseerklärung von Herrn Philipp vom 12. November 2003 zitieren. Er sagt:

Ein Scheitern der noch im parlamentarischen Entscheidungsprozess befindlichen Reformen hätte insofern katastrophale Folgen. Dies gilt insbesondere für das Vorziehen der Steuerentlastungsstufe 2005 als ersten Schritt in eine grundlegende Steuerreform mit weiteren Entlastungen und Vereinfachungen.

   Ich sage Ihnen: Herr Philipp und das deutsche Handwerk haben Recht. Deswegen hätte ich von Ihnen erwartet, dass Sie hier ein klares Bekenntnis zum Vorziehen der Steuerreform ablegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Deutschland ist zwar Exportweltmeister. Aber um die Binnenkaufkraft zu stimulieren, müssen wir es erreichen, dass ein Familienvater mit zwei Kindern - der Bundeskanzler hat dies in seiner Regierungserklärung deutlich gemacht - erst ab einem Einkommen von 37 500 Euro den ersten Euro zu versteuern hat. Sie alle wissen: Wenn wir über das Handwerk reden, dann sprechen wir über Personengesellschaften und damit über Unternehmen, die nach dem Einkommensteuerrecht veranlagt werden. Sie warten darauf, dass sie erst ab einem Einkommen von 37 500 Euro den ersten Euro versteuern müssen. Das ist Politik für das Handwerk. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie dem zustimmen.

(Beifall bei der SPD)

   Sie nehmen zwar die Auffassungen der Institute nicht zur Kenntnis; aber zumindest Folgendes muss ich Ihnen vorhalten dürfen: Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung hat den Fokus auf das Handwerk gerichtet und festgestellt: Die Entwicklung der Unternehmensgründungen im Handwerk bleibt deutlich hinter der Entwicklung der Unternehmensgründungen im Nichthandwerk zurück. Dies gilt für alle hier betrachteten Wirtschaftszweige, unabhängig vom Technologiegrad und unabhängig davon, ob die Branchen der Industrie oder dem Dienstleistungssektor zuzurechnen sind. Es ist kein Zufall, dass wir im Handwerk leider nur eine Gründungsquote von 4 Prozent und in anderen Bereichen von 13 Prozent haben. Deshalb brauchen wir mehr Luft und etwas mehr Freiheit in der Handwerksordnung. Unsere Novelle ist daher ein Beitrag zur Förderung des Handwerks in Deutschland und nicht das Gegenteil.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Damit bin ich beim Kern der Novelle zur Handwerksordnung, die wir heute in zweiter und dritter Lesung beschließen werden. Unser Ziel ist es, die Handwerksordnung zukunftssicher und europafest zu machen. Bei diesem Punkt muss ich mich auch einmal der kleineren Opposition zuwenden, verehrter Herr Kollege Brüderle. Ich weiß nicht, ob Sie die Beschlusslagen in Ihren Landesverbänden oder gar die Ihres Parteivorsitzenden kennen. Ich will einmal mit der Beschlusslage in Hessen beginnen. Auf dem hessischen Landesparteitag wurde am 15. November dieses Jahres beschlossen:

Die FDP Hessen schätzt den Meisterbrief als Ausdruck hohen Ausbildungsstands und Qualität im deutschen Handwerk. Dieses Qualitätsniveau ist so hoch, dass es keiner wettbewerbshemmenden Vorschriften bedarf. Die FDP Hessen fordert deshalb eine weitestmögliche Liberalisierung der deutschen Handwerksordnung. Grundsätzlich abzuschaffen ist der Zwang zum Meisterbrief für einen selbstständigen deutschen Handwerker, dessen in Deutschland tätiger EU-Kollege den Meisterbrief nicht benötigt.

   Genau in diese Richtung versuchen wir das Handwerk mitzunehmen und es europafest zu machen.

(Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Das Falsche mit dem Falschen beantworten!)

Denn wenn wir das nicht täten - das wissen Sie ganz genau -, wird der Europäische Gerichtshof beim Meisterbrief einen Strich durch die Rechnung machen. Das wollen wir nicht; denn er hat sich im Kern bewährt. Deshalb brauchen wir eine Novelle zur Handwerksordnung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Lange, einen kleinen Augenblick bitte. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach dem Kollegen Lange spricht noch ein Redner. Sie können Ihre Gespräche also durchaus noch in die Lobby vor dem Plenarsaal verlegen. Dann könnten wir in Ruhe dem Herrn Lange und dem Herrn Fuchs zuhören.

Christian Lange (Backnang) (SPD):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich hoffe, dass ich trotz des Geräuschpegels durchdringe.

Herr Kollege Brüderle, ich will Ihnen noch ein zweites Zitat - aus Ihrer eigenen Fraktion - vorhalten, das des Kollegen Westerwelle, der in seiner Positionsschrift „Für die freie und faire Gesellschaft“ einen interessanten Beitrag zum Handwerk geleistet hat. Darin schreibt er:

Es ist unfair, wenn jeder einen Laden aufmachen kann, um Computer zu reparieren, aber derjenige, der einen Laden aufmacht, um Schuhe herzustellen, einen Meisterbrief braucht.

Wenn das kein Widerspruch ist, dann fordere ich die FDP-Fraktion auf, der Novelle der Handwerksordnung zuzustimmen. Genau das ist unser Ansatz.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dietrich Austermann (CDU/CSU): Der ist doch nicht ganz richtig im Kopf!)

   Der Meister wird übrigens in Zukunft nicht nur gestärkt, sondern er wird in Deutschland auch häufiger vorkommen. Kern der Novelle der Handwerksordnung ist es, den Meisterbrief als Qualitätssiegel Nummer eins in Deutschland zu etablieren. Das ist das Ziel dieser Novellierung. Deshalb wird es in Deutschland durch diese Novelle am Ende mehr Meister geben als je zuvor.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Wir werden dafür sorgen, dass nicht nur diejenigen, die unter Anlage A der Handwerksordnung fallen, einen Meisterbrief machen können, sondern auch all diejenigen, die unter Anlage B fallen und ihn heute nicht machen können. Der Verbraucher wartet darauf, ein Signal dafür zu bekommen, wer gute und wer schlechte Arbeit leistet. Genau das machen wir.

(Beifall bei der SPD)

   Deshalb wundere ich mich, dass Sie, Herr Kollege Hinsken, den langjährigen Gesellinnen und Gesellen ein solch starkes Misstrauen entgegenbringen. Verehrter Herr Kollege Hinsken, Sie kennen offensichtlich die berufliche Praxis in Ihrem eigenen Laden nicht. Ich weiß ja, dass Sie Bäckermeister sind.

   Diejenigen, die eine mehr als 10-jährige Berufserfahrung haben - und das womöglich auch noch in herausgehobener Stellung - bilden das Rückgrat der kleinen Handwerksbetriebe. Diesen wollen wir es ermöglichen, dass sie, statt ein Leben lang Angestellte bleiben zu müssen, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und sich selbstständig machen können. Diese sind heute das Rückgrat der Meisterbetriebe.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das ist Körperverletzung, was Sie hier machen! Ein Brüllaffe!)

Diese sollen auch in Zukunft selbstständig sein können. Ich glaube, auf diesem Gebiet brauchen wir in Deutschland dringend mehr Dynamik.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Deshalb ist es Sinn und Zweck unseres Gesetzentwurfes, von den ursprünglich 94 Handwerken in Zukunft nur noch 29 der Anlage A zu unterwerfen. Das sind 414 300 Betriebe. 62 Prozent davon sind Handwerksbetriebe und handwerksähnliche Betriebe. Diese werden auch zukünftig der Anlage A unterliegen.

   Unserer sozialdemokratischen Fraktion ist die Qualität der Ausbildung ein ganz besonderes Anliegen. Sie sind darauf eingegangen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Lange, der Herr Kollege Brüderle würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Christian Lange (Backnang) (SPD):

Aber gerne. Der Kollege Brüderle immer.

Rainer Brüderle (FDP):

Herr Kollege Lange, können Sie mir den Widerspruch erklären, dass Sie beim Handwerk für Veränderungen plädieren, aber strikt gegen Öffnungsklauseln in der Tarifpolitik sind? Es bedeutet auch ein Stück Freiheit, wenn die Mitarbeiter im Betrieb über die Rahmenregelungen entscheiden dürfen. Denen verweigern Sie diese Freiheit. Können Sie das erklären?

Christian Lange (Backnang) (SPD):

Herr Kollege Brüderle, Ihre Frage zeugt davon, dass Sie die betriebliche Wirklichkeit in Deutschland nicht kennen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich sage Ihnen: Mein Bundesland Baden-Württemberg - und allen voran die IG-Metall - sorgt dafür, dass wir für jedes betriebliche Problem eine passgenaue Lösung finden.

(Lachen bei der FDP)

   Deswegen sage ich Ihnen: Wer für immer weniger Staat sorgen will, der muss bitte schön zur Kenntnis nehmen, dass die Tarifautonomie Deutschland stark gemacht hat. Sie ist staatsfrei und muss diesen Status auch in Zukunft behalten. Sie ist ein Erfolgsrezept für die deutsche Wirtschaft.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich war beim Thema Ausbildung stehen geblieben. Uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten liegt die Qualität der Ausbildung ganz besonders am Herzen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das glauben Sie doch nicht wirklich!)

Deshalb ist mir wichtig, in dieser Debatte zu sagen, dass durch die Novellierung der Handwerksordnung an der Qualität der Ausbildung nicht gerüttelt wird.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Die bilden überhaupt nicht mehr aus! Das ist das Ergebnis!)

Das ist deshalb von so großer Bedeutung, weil die Qualität der Ausbildung im Handwerk durch das Berufsbildungsgesetz sichergestellt wird. Wir - das wissen Sie genau - ändern an § 76 des Berufsbildungsgesetzes, der die Voraussetzungen für die Berechtigung zur Ausbildung festlegt, nichts. Wir haben das auch nicht vor. Deshalb stellen Sie bitte schön Ihre Propaganda ein. Denn die Ausbildungsbetriebe im Handwerk werden nicht durch den Gesetzentwurf verunsichert, sondern durch Ihr Gerede wider besseres Wissen. Ich bitte Sie in unserem gemeinsamen Interesse, damit endlich aufzuhören.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage dies auch deshalb, weil wir es in Bezug auf die Ausbildung in den nächsten drei bis fünf Jahren mit geburtenstarken Jahrgängen zu tun haben werden. Danach wird die Welt anders aussehen; das wissen Sie. Die Betriebe werden um jeden Auszubildenden froh sein, weil diese dafür sorgen können, dass der Betrieb weiterhin bestehen bleibt.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Dann habt ihr lauter Ich-AGs!)

Auszubildende sind also ein wichtiger wirtschaftlicher Vorteil für jedes Unternehmen. Deshalb bitte ich Sie, Ihre Propaganda einzustellen. Sie ist weder im Interesse der Jugendlichen in Deutschland, noch der Unternehmerinnen und Unternehmer.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Zum Schluss möchte ich, Herr Kollege Hinsken, das Thema Ich-AG aufgreifen. Ich wundere mich sehr, auf welche Weise Sie versuchen, die Kleinunternehmer in unserem Land zu diffamieren.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das stimmt doch gar nicht!)

Die meisten Unternehmer in Deutschland haben klein angefangen. Darüber, dass diejenigen, die aus der Langzeitarbeitslosigkeit herauskommen wollen, es ganz besonders schwer haben, brauchen wir uns doch wohl nicht zu unterhalten. Sie aber äußern sich über diese Menschen schlecht. In den Redebeiträgen heute war das nicht der Fall, aber ich erinnere mich an Ihre Veranstaltung unweit von hier. Auf dieser Veranstaltung haben Sie diejenigen, die eine Ich-AG gegründet haben, als Unternehmerproletariat bezeichnet. Diese Menschen haben all ihren Mut zusammennehmen müssen und Unterstützung erfahren, um ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen zu können. Solche Sprüche sind schon happig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin mir nicht sicher, ob Ludwig Erhard eine solche Position seiner Partei unterstützt hätte. Ludwig Erhard würde sich im Grabe umdrehen, wenn er mitbekommen würde, wie Sie mit Leuten umgehen, die den Mut aufbringen, sich selbstständig zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich komme zum Schluss. Wir werden mit der so genannten kleinen Handwerksnovelle sicherstellen, dass die Ich-AG auf einem guten Weg ist. Wir werden dafür sorgen - ich greife auf, was Sie zu den anstehenden Verhandlungen im Vermittlungsausschuss gesagt haben -, dass wir bei der großen Novelle zu einem Kompromiss kommen. Dabei haben wir immer fest im Auge, dass wir mehr Wachstum und mehr Dynamik in der deutschen Wirtschaft brauchen.

   Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Michael Fuchs, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die heutige Debatte über den Haushalt für Wirtschaft und Arbeit kann man so zusammenfassen: Der Haushalt ist genauso katastrophal wie die Arbeitslosenzahlen, die Sie mit Ihren Haushalten, Herr Bundesminister, produziert haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Herr Bundesminister, lieber Herr Clement, in vielen Bereichen wollten Sie Besseres erreichen - das wissen wir -, man hat Sie nur nicht gelassen. Das haben Sie eben in Ihrer Rede dadurch deutlich gemacht, dass Sie mehrmals den Oppositionspolitiker Kuhn erwähnt haben. Man sieht, wo die wahre Opposition gegen Ihre Ideen ist. Aber auch das, was Ihre Partei seit einiger Zeit mit Ihnen macht, finde ich nicht besonders nett. Der Juso-Vorsitzende Annen zum Beispiel hat Sie als Superankündigungsminister bezeichnet.

   Am 7. November 2002 haben Sie gesagt: Es ist das erste große Gesetz, - es ging um Hartz I und Hartz II -, das zu tief greifender Strukturveränderung des Arbeitsmarktes in Deutschland führen wird. Ich muss Sie fragen: Wo sind denn die tief greifenden Strukturveränderungen? Was hat sich denn verändert? Was mussten wir in diesem Jahr alles erleben: Die Arbeitslosenzahlen steigen in die Höhe. Der Haushaltsentwurf für das Jahr 2004 wird mit Sicherheit nicht einzuhalten sein. Sie haben 13,4 Milliarden Euro für die Arbeitslosenhilfe eingeplant. Diesen Betrag werden Sie wie schon in diesem Jahr auch im nächsten Jahr überschreiten. Es sollte 2003 keinen Bundeszuschuss zur Bundesanstalt für Arbeit geben, jetzt wird er bei 8 Milliarden Euro liegen. Das wird auch im nächsten Jahr so sein.

   Von einer Belebung des Arbeitsmarktes können wir nicht mehr sprechen. Die Beschäftigungsschwelle liegt nach wie vor bei über 2 Prozent Wachstum. Es wird also keine Bewegung in den Arbeitsmarkt kommen, schließlich wird das Wachstum, wie Sie selbst sagen, bei 1,7 Prozent liegen.

   Die Situation bei der Entwicklung der Arbeitsplätze ist ziemlich dramatisch. Die Präsidentin hat mir acht Minuten Redezeit zugestanden. In diesen acht Minuten gehen in Deutschland acht Arbeitsplätze verloren, pro Minute einer. Das ist der Erfolg Ihrer Politik.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Und was macht Ihre Partei, Herr Clement? Fundamental wichtige Reformen am Arbeitsmarkt, wie die Eröffnung der Möglichkeit betrieblicher Bündnisse für Arbeit oder ausreichende Änderungen beim Kündigungsschutz, werden von den gewerkschaftshörigen Traditions- und Verhinderungsbataillonen bis zum heutigen Tag blockiert.

(Beifall des Abg. Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU))

Deswegen werden wir nicht mitmachen, falls Sie nur die Steuerreform durchführen wollen. Nein, gerade auf dem Arbeitsmarkt müssen Sie Veränderungen schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Permanente Ankündigungen gibt es auch beim Thema Bürokratieabbau, das Sie als Erfolgsstory vorhin ein wenig katalogisiert haben. Ich bin etwas tiefer hineingegangen. Bei der Arbeitsstättenverordnung haben Sie beispielsweise etwas getan, jawohl. Sie haben 58 Paragraphen auf zehn reduziert. Trickreich, wie Sie sind, haben Sie den Inhalt dieser 58 Paragraphen anschließend aber ganz einfach in Verordnungen hinübergeschoben. Es hat sich also gar nichts verändert.

(Ute Kumpf (SPD): Das haben Sie schon vor zwei Wochen erzählt!)

   Daneben wollen Sie einen Ausschuss für Arbeitsstätten aus Vertretern der Arbeitgeber, der Gewerkschaften, der Länder und noch weiteren Personen bilden. Wir haben ja noch nicht genug Ausschüsse in diesem Lande! Dieser soll Regeln für Arbeitsstätten aufstellen. Schaffen wir so Bürokratie ab oder bauen wir neue auf? Nichts anderes, als neue aufzubauen, tun wir.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Meine Damen und Herren, ich muss noch einmal auf die Sparquote in Deutschland zu sprechen kommen. Wir haben in unserem Land eine nie gekannte Privatsparquote. Sie ist von 2000 bis 2003 von 9,8 Prozent auf 11,0 Prozent gestiegen. Zum Vergleich sollte man sich die letzte Legislaturperiode unter Kohl anschauen; Sie tun das sonst immer besonders gerne. Von 1992 bis 1998 ist die Sparquote von 13 Prozent auf 10,3 Prozent gesunken. Wissen Sie, warum das so war? Das war so, weil die Menschen damals noch Zutrauen in die Regierung hatten,

(Lachen bei der SPD)

weil sie gewusst haben, dass etwas passiert und dass sie ihr Geld ausgeben konnten, ohne Angst haben zu müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Niebel (FDP))

   Ich will Ihnen das belegen. Ich kann jeden Bürger, jede Bürgerin, jeden Unternehmer und jede Unternehmerin verstehen, wenn nicht investiert und kein Geld ausgegeben wird. Schauen wir uns - ich mache es mir jetzt ganz einfach - nur die letzten vier Wochen an:

   In der 43. Woche sagte Herr Eichel: Die Renten müssen besteuert werden. In der 44. Woche sagte Herr Schily: Auch bei Beamten wird es zu Rentenkürzungen in Form von erhöhten Pflegebeiträgen kommen. In der 44. Woche sagte Herr Eichel: Die Mehrwertsteuer muss erhöht werden, falls die Union im Bundesrat blockiert. In der 45. Woche beschloss die Regierungskoalition, Rentenkürzungen in Form einer Nullrunde verbunden mit der Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge vorzunehmen. In der 46. Woche beschloss die SPD-Fraktion, eine Ausbildungsplatzabgabe einzuführen. In der 47. Woche sagte die Linke der SPD: Die Erbschaftsteuer muss erhöht und die Vermögensteuer wieder eingeführt werden. In der 48. Woche waren dann die Stromversorger an der Reihe. In dieser Woche haben wir von Frau Caspers-Merk gehört, dass die Alkopopsteuer erhöht werden muss. Auch Herr Trittin hat sich in dieser Woche mal wieder geäußert, und zwar zur Vermögensteuer. Das waren die letzten vier Wochen. In diesen gab es nur Debatten und Informationen über Steuererhöhungen. Glauben Sie, dass dabei noch irgendeiner investiert? Das ist der Grund, weshalb wir kaum noch Wachstum haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Sie können heilfroh sein, dass im nächsten Jahr vier Feiertage wegfallen; denn allein dadurch wird das Wachstum um 0,6 Prozent steigen. Nebenbei bemerkt: Das ist eine ganz interessante Information. Diese vier wegfallenden Feiertage führen aufgrund der Mehrarbeit zu mehr Wachstum. Das heißt, wenn wir in Deutschland mehr arbeiten, dann wächst die Wirtschaft auch wieder. Also sollten wir umdenken und das Ganze umstellen. Das ist natürlich eine Forderung an die Gewerkschaften, die sich bei solchen Gedanken abwenden. Das kennen wir von Herrn Brandner. Wir müssen in Deutschland wieder mehr arbeiten. Ohne diese Mehrarbeit kommen wir nicht aus der Krise heraus. Das sollten wir sehr deutlich machen.

   Meine Damen und Herren, es ist bekannt, dass ich Unternehmer bin. Wenn mein Geschäftsführer Schröder und mein Oberbuchhalter Eichel in meinem Unternehmen einen Jahreswirtschaftsplan - ein Budget -, der so aussähe wie der vorliegende Haushaltsplan, aufgestellt und ihn mir vorgelegt hätten, dann hätte ich die beiden sofort entlassen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Dem will ich nur noch hinzufügen: Ich hätte sie gar nicht erst eingestellt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Ein kluger Mann, der Fuchs! - Dietrich Austermann (CDU/CSU): Ein schlauer Fuchs!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich schließe die Aussprache.

   Für eine persönliche Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung gebe ich dem Kollegen Laumann das Wort.

Karl-Josef Laumann (CDU/CSU):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach § 31 unserer Geschäftsordnung erkläre ich zugleich im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu unserem Abstimmungsverhalten zum Antrag der FDP auf Drucksache 15/2088 zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit Folgendes:

   Die von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen vorgesehenen Festlegungen für eine Anschlussregelung zur Förderung der Steinkohle sind weder im Verfahren noch in der Höhe akzeptabel. Für die festgelegte Größenordnung der Anschlussregelung hat es weder die notwendige parlamentarische Beratung gegeben,

(Zuruf von der SPD: Falsch!)

noch liegen die Finanzierungszusagen der betroffenen Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Saarland in den angegebenen Größenordnungen vor. Wir lehnen diese Festlegungen ab und stimmen daher dem Änderungsantrag der FDP zu.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der FDP)

   Zugleich weisen wir darauf hin,

(Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wieso „wir“?)

dass wir selbstverständlich eine Anschlussregelung für die Förderung der Steinkohle nach Auslaufen der derzeitigen Regelung 2005 für notwendig halten und unterstützen.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Hören Sie doch einmal zu!

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Laumann, Sie geben eine persönliche Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung ab. Sie sollten sich an eine persönliche Erklärung zur Abstimmung halten.

Karl-Josef Laumann (CDU/CSU):

Genau das ist es. Es ist eine Anschlussregelung notwendig, mit der die bisherige Degressionslinie der Förderung der Steinkohle in den letzten Jahren auch für einen nächsten überschaubaren Zeitraum festgelegt wird.

   Schönen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 09, Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, in der Ausschussfassung. Dazu liegen persönliche Erklärungen von 36 Abgeordneten vor.

   Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/2088 vor, über den wir zuerst abstimmen. Die Fraktion der FDP verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.

   Ich mache darauf aufmerksam, dass nach der namentlichen Abstimmung noch weitere Abstimmungen zu tätigen sind und dass die Kolleginnen und Kollegen zu diesen Abstimmungen dableiben mögen.

- Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.

   Wir setzen die Abstimmungen fort. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Plätze wieder einzunehmen.

   Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften auf Drucksache 15/1206. Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/2083, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.

   Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.

   Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/2085. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der CDU/CSU und bei Zustimmung der FDP abgelehnt.

   Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit auf Drucksache 15/2083. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/1107 mit dem Titel „Handwerk mit Zukunft“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen.

   Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/1108 mit dem Titel „Meisterbrief erhalten und Handwerksordnung zukunftsfest machen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der FDP und Enthaltung der CDU/CSU angenommen.

   Ich unterbreche die Sitzung, bis das Ergebnis der namentlichen Abstimmung vorliegt.

    (Unterbrechung von 13.03 bis 13.06 Uhr)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.

   Zunächst einmal gebe ich zu Protokoll, dass die Abgeordneten Bahr, Kauch und Löning eine Erklärung zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt I.12, zum Dritten Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung, abgegeben haben, wonach sie sich der Stimme enthalten haben.

   Ich gebe Ihnen nun das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Abgegebene Stimmen 588. Mit Ja haben gestimmt 286, mit Nein haben gestimmt 302, es gab keine Enthaltungen. Der Änderungsantrag der Fraktion der FDP ist somit abgelehnt.

   Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 09 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für den Einzelplan 09 in der Ausschussfassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 09 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP und gegen die Stimme des Abgeordneten Hubert Ulrich, Bündnis 90/Die Grünen, angenommen.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 79. Sitzung - wird morgen,

Freitag, den 28. November 2003,

veröffentlicht.]